Rückwirkend unsexy

betr.: 110. Geburtstag von Joan Crawford

Vor einem knappen Jahrhundert sorgte schon die alltagsferne Optik des Kinos für Magie und ein Nachlassen der Erdenschwere. Die weiblichen Filmstars der „Silver Screen“ wurden folgerichtig „Göttinnen“ genannt. Wenn man den richtigen Ausschnitt erwischt (und sich vielleicht kurz vom Smartphone löst und das Heimkino bemüht), kann man noch heute etwas von dieser Größe ahnen – z.B. wenn Marlene Dietrich (immerhin 47jährig) in einem schmuddeligen Kellerlokal aufreizend vom „Black Market“ singt.
Mitunter verursacht ein solches Wiedersehen auch ein eher distanciertes Staunen – dazu zählt für mich Greta Garbo, die von ihren Zeitgenossen gar als die Göttliche bezeichnet wurde.
Manch eine Kollegin verblüfft noch immer mit der Zeitlosigkeit ihrer Kunst. Barbara Stanwyck oder Bette Davis sind so überragende (und wandlungsfähige!) Schauspielerinnen, sie hätten (bzw. haben*) vermutlich sogar auf VHS eine gute Figur gemacht.
Die weitaus größte Gruppe besteht aus lediglich bildhübschen Damen, die ihren Glamour hauptsächlich dem handwerklichen Umfeld verdanken: der Beleuchtung, der Dekoration, Kostüm und Maske, einem sinfonischen Musikeinsatz zur rechten Zeit und einer kundigen Regie – was ja auch nicht übel ist.
Und dann gibt es da noch Joan Crawford, eine Klasse für sich!

Joan Crawford ist eine der größten Diven der frühen Tonfilmzeit. Für mich als Nachgeborenen tut sich eine unüberbrückbare Kluft auf zwischen diesem Repertoire und ihrem Spätwerk (das sich immerhin noch komplett in der Pracht der Technicolor-Ära abspielte).
Schon an den späten Filmtiteln der Diva lässt sich ihr Niedergang ablesen („Strait Jacket“, 1964 – „Berserk“, 1968 – „Trog“, 1969), aber es ist dies nicht etwa ein bedächtiges Versinken in Langeweile oder Mittelmaß. Es ist ein rasender Absturz in die schiere Peinlichkeit (- in der Medienphilosophie nennt man es „Camp“°, im Ostsee-Urlaub „krachenden Absuff“). Diese Filme sind erschütternd und Sternstunden der (soweit es Frau Crawford betrifft) unfreiwilligen Komik. Die Schadenfreude bei ihrem Anblick ist deshalb so groß, weil die Schmach der Heldin so restlos selbstverschuldet ist, und geeignet, dem Betrachter die Achtung vor ihren glanzvollen Auftritten der 30er und 40er Jahre rückwirkend zu vermiesen.
(Der Autor Christoph Dompke hat das Phänomen des sich demontierenden Filmstars einst in einem köstlichen Buch herausgestellt und umfassend analysiert, dessen Untertitel in der Neuauflage zum Titel gemacht wurde: „Alte Frauen in schlechten Filmen“.**)

1962 war das Jahr, in dem der offizielle Teil von Joan Crawfords Alterskarriere begann und in dem alles noch hätte ganz anders kommen können. In der brillanten Horror-Groteske „Whatever Happened To Baby Jane?“ spielt sie an der Seite ihrer wichtigsten Konkurrentin / Lieblingsfeindin in Hollywood: Bette Davis. Die beiden sind ein in die Jahre gekommenes Schwesternpaar aus dem Showgeschäft: die gelähmte Blanche (J. C.), die noch immer auf sich hält und die Wiederholungen keines ihrer alten Filme im Fernsehen versäumt, und die verhaltensgestörte, sadistische, zauselige Alkoholikerin Jane (B. D.), auf deren Pflege und Fürsorge sie angewiesen ist. Schon hier zeichnet sich ab, wie sich die Karrieren der beiden in Zukunft entwickeln werden: während die Charakterschauspielerin Davis alle Eitelkeit fahren lässt und als verwundetes Raubtier die Zähne fletscht, hofft ihre Partnerin (nicht etwa nur deren Charakter auf der Leinwand), doch noch als „schön“ wahrgenommen zu werden – was ein allerletztes Mal wenn schon nicht gelingt, so doch zum Erreichen des angestrebten Effektes führt.
Regisseur William Castle hat diese verrutschte Selbstwahrnehmung seiner Schauspielerin gespürt und hämisch ausgenutzt. Ihre folgenden gemeinsamen Arbeiten sind nun keine Horror-Satiren mehr sondern billige Gruselschinken, in denen Joan Crawford mit großen Gesten arbeitet, die in einem B-Picture ohne die edle Optik der Warner Brothers deplaziert wirken, und sich in laszive Posen wirft, die sie hoffentlich (!!!) nicht ernst meint. Tut sie wohl doch, wie sich immer wieder machtvoll andeutet – zum Beispiel, wenn ihr in „Strait Jacket“ gestattet wird, sich nach der späten Entlassung aus der Klapsmühle wieder „jugendlich“ zurechtzumachen. (Zuvor durfte sie dies schon in einer saukomischen Rücklende tun, in der sie einen Axtmord begeht.)

Auch Bette Davis hat in ihrem Herbst bekanntlich am einen oder anderen Trashprodukt mitgewirkt, aber in keinem davon hat sie sich geräkelt oder etwa versucht, der fast noch minderjährig wirkenden Diane Baker den Lover auszuspannen. Und bis zuletzt trat sie außerdem auch in anspruchsvollen Produktionen auf – und überzeugte darin.
Joan Crawford kam aus der untersten Schublade nicht mehr heraus. Sogar im Erstlingswerk des jungen Steven Spielberg (einer TV-Produktion von 1969) wird mit ihrem Image der herrschsüchtigen Ziege gespielt.
In ihrem letzten Kinofilm blickt sie in das Gesicht eines gutaussehenden Burschen, der schwer traumatisiert den Angriff eines Steinzeitmenschen überlebt hat. Er erwidert den Blick und stammelt: „Dieses Gesicht … dieses grauenhafte Gesicht!“

Viele Fans haben der Crawford über all die Jahre die Treue gehalten. Gerade ihre homosexuellen Verehrer wußten beides zu schätzen: konsequent erzählte Melodramen und – Camp.

 

° siehe Blog vom 4.10.2014
* Einen ihrer alleretzten Auftritte hat Barbara Stanwyck in dem TV-Vierteiler „Die Dornenvögel“. Sie flucht über „dieses junge Mädchen, das in einem lächerlichen, verrottenden Körper gefangen ist“. Als ich die Szene zum ersten Mal in der Originalversion sah, zog es mir fast die Schuhe aus.
** Christoph Dompke: „Alte Frauen in schlechten Filmen – Vom Ende großer Filmkarrieren“, Männerschwarm-Verlag, ISBN: 978-3-86300-114-8

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