Die Helden von der Poststelle

betr.: Dienstbeginn des „Pony-Express“ in den USA vor 155 Jahren

Die kleine Molli lebt mit ihrem Vater auf einer Terraforming-Station. Ihr Vater leitet ein Team von allerlei Wissenschaftlern, die einen Asteroiden bewohnbar machen sollen. Sie hat sich mit dem Roboter Leroy und der Reinigungseinheit SNUF-3000 – genannt Schnuffi – angefreundet.

Molli und der Wilde Westen

Erfassungsroboter Leroy war mit der Eingabe seiner heutigen Daten etwas früher fertig, und so spazierte er durch die Station. Vielleicht würde er Molli treffen, die ja um diese Zeit gerade Schulschluss haben mußte.
Er fand sie und Schnuffi, den Staubsauger vor dem großen Panoramafenster nach Westen.
Der Sand strahlte im schönsten Rot, und in der Ferne sah man eine Baburu-Herde vorüberziehen.
Molli musste unwillkürlich an die Wildpferde denken, die sie im letzten Erdkundeunterricht gesehen hatte.
„Gibt’s da draußen auch Indianer?“ fragte Molli, als sich Leroy zu ihnen stellte.
„Nein“, entgegnete Schnuffi. „Vielleicht auf der Südhalbkugel, die ist noch nicht ganz erforscht – aber wahrscheinlich nicht.“
„Dann kann also überhaupt niemand auf diesen Tieren reiten?“
„Nein. Die haben den ganzen Tag frei!“
Leroy liebte es, Schnuffi dabei zuzuhören, wie er sich bei seinen kleinen Vorträgen und Prahlereien in Widersprüche verstrickte.
„Könnte es denn einer von uns tun? Auf ihren reiten?“ fragte Molli.
„Nun ja“, meinte Schnuffi, „wenn man es richtig macht, dann könnte man sicher auf einem … von denen …“
„Aber nicht, wenn man den Körperbau eines Tisch-Mülleimers hat!“ sagte Leroy halblaut an Schnuffi gerichtet. Zum Glück hatte Molli gerade nicht so genau hingehört.
Leroy wollte noch etwas Sinnvolles zur Unterh
altung beizusteuern und etwas für Mollis Bildung zu tun, da er nun schon mal da war.
„Eines Tages, Molli“, begann er, „wenn dieser Planet von Menschen wie dir bewohnt sein wird, werden wir vielleicht einen Pony-Express mit diesen Tieren einrichten!“
„Einen Pony-Express?“ fragen Molli und Schnuffi im Chor.
„Ja, so wie im Wilden Westen.“
„Wozu braucht man denn solch einen Express?“ fragte Molli.
„Er bringt die Post! Was denn sonst?“ antwortete Leroy.
Es stand den beiden ins Gesicht geschrieben, dass sie noch nie Post bekommen hatten.
„Also“, erklärte Leroy, „ihr müßt euch vorstellen, dass die Menschen sich früher ihre Nachrichten auf Papier geschrieben und über weite Strecken zugeschickt haben.“
„Nachrichten auf Papier! Lustig …“, sagte Molli.
„Ja, aber nicht nur Nachrichten, sondern auch Sachen. Ein Stück Kuchen, eine Flasche Tomatensaft oder … ein Geburtstagsgeschenk. Aber Sachen wurden eher mit einer Postkutsche befördert. Der Pony-Express bestand nur aus einem tüchtigen Cowboy, der nichts als Briefe dabeihatte, und der war dann auch etwas schneller als so eine dicke, volle Kutsche!“

Molli und der Wilde Westen_col

„Dann waren die Cowboys also einfach nur öddelige Postboten?“ fragte Molli etwas enttäuscht.
„Nein“, erklärte Leroy. „Nur die, die für den Pony-Express arbeiteten! Und öddelig waren die auch nicht …“
„Und was machte so ein Cowboy, wenn er nicht bei der Post war?“
„Na, er trieb große Viehherden übers Land. Das Wort Cowboy bedeutet ja übersetzt: der Junge, der die Kühe hütet.“
„Echt jetzt? Wie langweilig!“ ertönte es aus den Mündern von Molli und Schnuffi.
Leroy war etwas irritiert über diese Reaktion, aber er merkte schon, dass sich seine Erläuterung tatsächlich nicht besonders sexy angehört hatte.
„Nein, meine Lieben, das täuscht. Das war ja nur der Ursprung des Wortes Cowboy. Cowboys machten natürlich alles Mögliche … pokern, Schießereien, Abenteuer erleben … und sowas halt.“
„Genau“, fügte Schnuffi hinzu. „Diese Gegend da draußen ist wirklich nichts für Feiglinge. Das kann ich dir aus eigener Erfahrung sahen! Da kann man nicht einfach jeden rausschicken. Das müssen schon Leute tun, die ein bißchen auf sich aufpassen können!“
Es war offensichtlich, dass er dabei an sich dachte.
„Nimmst du mich denn mal mit?“ fragte Molli. „Ich meine, wenn jemand so tapfer ist wie du, dann kann er doch auch auf uns beide aufpassen.“
„Ich fand es bei meinem letzten Ausflug nicht sehr aufregend“, ging Leroy dazwischen, der sich mal wieder genötigt sah, als Stimme der Vernunft zu fungieren. „Es ist ein etwas unheimlicher, aber letztlich freundlicher Planet! Und die Baburus sind schon deshalb nicht gefährlich, weil sie sich bei deinem Anblick zu Tode erschrecken und davonlaufen würden. Baburus sind Fluchttiere …“
„Dann kann Schnuffi mich also mitnehmen?“ meinte Molli begeistert.
Jetzt rutschte unserem Schnuffi aber wirklich der Staubsaugerbeutel in die Hose. Schnuffi war ja nur ein besseres Haushaltsgerät, und Haushaltsgeräte können nicht rot werden, aber wenn er gekonnt hätte, dann wäre er vermutlich jetzt rot angelaufen.
„Ach, lieber nicht“, stotterte er. „Im Moment hab ich nämlich … gar keine Zeit für einen Ausflug, weißt du?“
„Ist doch ohnehin egal, Schnuffi!“ meinte Leroy. „Molli muß hier drinnen bleiben, weil die Schwerkraft da draußen viel zu schwach ist!“ Und dann, an Molli gewandt: „Schnuffi und mir macht das nichts aus, weil wir Maschinen sind und über eine Gravitationsfunktion verfügen. Nichts für ungut, Kleines!“
„Oooch, das ist aber schade“, meinte Molli traurig. „Na, da kann man wohl nichts machen!“
Leroy streichelte ihr über den Kopf. „Das ist nicht schlimm, wirklich nicht. Da draußen in der Prärie ist doch gar nichts los. Da gibt es weder Cowboys noch Indianer, denn noch ist dieser Planet ja gar nicht mit Menschen bevölkert.“
„Richtig, deswegen arbeiten wir ja hier, nicht wahr?“
„Genau! Und hier drinnen ist es sowieso viel lustiger. Hier gibt es ein kleines Kino, eine Holo-Playstation und 16 verschiedene Eissorten in der Kantine.“
„Und ein Amazonas-Treibhaus!“ fügte Molli begeistert hinzu.
„Genau, gleich hinter den Gemüsebeeten!“
„Wir könnten doch mal wieder Tarzan spielen! Kommst du mit, Leroy?“
„Klar! Geh doch schon mal vor!“ schlug Leroy vor, und Molli rannte los.
„Bis später, Schnuffi!“ rief sie im Weglaufen.

Da bist du ja noch mal mit einer kleinen Delle davongekommen“, sagte Leroy fröhlich.
„Du Spielverderber!“ raunte Schnuffi.
„Hätte ich die Kleine anlügen sollen?“ fragte Leroy. „Du weißt doch, dass wir LE-Einheiten nicht lügen können. Wir haben schließlich einen XLÜ-Wahrheitsprocessor eingebaut!“
„Warum hat sie mich eigentlich nicht gefragt, ob ich mit ihr Tarzan spielen will?“ fragte Schnuffi.
„Das hat vielleicht mit deinem eher … kartoffelförmigen Körperbau zu tun. Und nun entschuldige mich – ich habe eine Verabredung im Dschungel!“
Schnuffi blieb zurück und blickte auf die rostrote Wüste hinaus, wo gerade wieder ein etwas verspäteter Baburu vorbeigaloppierte.
Insgeheim war er ganz froh, dass bei ihm kein XLÜ-Processor eingebaut war, der einen zwingt, immer die Wahrheit zu sagen, und dass er nur ein kleiner Staubsauger war, der auch schon mal ein wenig herumfantasieren konnte.

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