Mutters Klavier

betr.: 48. Geburtstag von Dorian Keilhack

Schlüsselszenen machen Spaß, wenn sie in der Kunst geschehen. Ein Aha-Moment, eine Erkenntnis (festgehalten in einem Dialogsatz, einer Liedzeile, einer Pointe), die den Blick auf alles Folgende verändert, ist einfach eine spannende Sache.
Mein Lieblingsbeispiel ist der Song „Gee, Officer Krupke“. Er gibt den renitenten Jugendlichen der „West Side Story“ eine unerwartete Tiefe, obwohl hier eine Menge Blödsinn gemacht wird. Besonders komisch ist diese Nummer in der Studioreportage, in der wir sehen, wie Bernstein den Song selbst dirigiert!
Im Leben sind Schlüsselszenen zumeist demütigend und allenfalls in der Rückschau erfrischend. Auch wenn man – wie bei „Officer Krupke“ – nur zuschaut.
Hilflos zuschaut.

Mein ultimativer Schlüsselmoment – man könnte sagen: das Ende der Kindheit – ereignete sich im Partykeller meines Elternhauses (also dem Raum, in dem z.B. Dia-Abende abgehalten wurden).
Meine Mutter, eine begabte Musikerin, hatte sich immer ein schönes Klavier gewünscht. Eines Tages bekam sie tatsächlich eines geschenkt, ein wunderschönes altes Instrument aus hellem Naturholz.
Nun war ja bei dieser Anschaffung schon so viel Geld gespart worden, da wollten sich meine Eltern auch vom Klavierstimmer nicht die Bilanz verderben lassen. Es kam ein Herr ins Haus, der nicht gerade wie ein Spezialist aussah, eher wie ein leicht alkoholisierter Klempner aus einem Slapstick-Film.
Er saß noch auf seinem Stühlchen, als ein kurzer aber höllischer Donner losbrach. Die Gussplatte war gerissen und das Klavier unwiderbringlich ruiniert.
Ich muß gestehen, ich fand diese Situation ungeheuer fesselnd.
Mein Vater – ein Polizist – unternahm aber angesichts dessen absolut nichts. Der Übeltäter spazierte so fröhlich aus unserer Wohnung wie er hereingekommen war.
Ich wartete noch einige Zeit auf das Nachspiel dieser Angelegenheit, aber es gab keins.
Für meine Eltern war die an ihrem Eigentum (und damit an ihnen) verübte Missetat weitaus weniger unangenehm, als der Gedanke, einen Konflikt austragen zu müssen.

Ich begriff, dass ich zu dieser Art und Weise, mit persönlich erlittenem Unrecht umzugehen, jahrelang erzogen worden war. Das war eine Einsicht, die mir förmlich den Boden unter den Füßen weggezogen hat.

Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft, Monty Arnold - Biographisches, Musik abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert