Schufte zum Anbeißen (9): Jay Robinson als Caligula

betr.: 2003. Geburtstag von Caligula

Mein alter Geschichtslehrer haderte sehr mit der Bewertung der Römer: „Ein faszinierendes, aber auch ein abscheuliches Volk“, resümierte er mit sichtlichem Unbehagen, als sei das letzte Wort in dieser Sache einfach nicht zu finden.
Wie so häufig müssen wir Nachgeborenen es uns etwas einfacher machen: wir sortieren die römischen Kaiser in zwei moralische Töpchen bzw. Kröpfchen (Augustus: guter Junge, Julius Cäsar: hauptsächlich böser Junge). Das kommerzielle Kino ist bei dieser Ein- und Wegsortierung die erste und letzte Instanz. Demnach ist Kaiser Nero der Schlimmste von allen gewesen, einfach deshalb weil nie ein Imperator in seinem Irrsinn solch einen Unterhaltungswert entfesselte wie Peter Ustinov in „Quo Vadis“ von 1951. Wer das möchte, kann in seinem kakophonischen Gejodel vor der Kulisse des niederbrennen Rom eine vorweggenommene Kritik an selbsternannten Gesangstalenten in Star-such-Formaten erblicken, und auch Neros Patenschaft für ein weit verbreitetes CD- und DVD-Brennprogramm ist schon ziemlich beeindruckend.

Da hat Caligula, der andere große römische Schweinehund von Hollywoods Gnaden, leider schlechte Karten. 1979 wurde ihm ein gleichnamiger Film gewidmet, der seine sexuelle Verkommenheit als Chiffre für alle übrigen Verfehlungen herausstellte (- als ob Orgien im Alten Rom etwas so Unerhörtes gewesen wären). Die Hauptrolle spielte Malcolm McDowell, der sich Jahre zuvor unter Stanley Kubrick als verkommenstes aller Subjekte gebärdet hatte. Der Caligula-Film ist so händeringend darum bemüht, Anstoß zu erregen – was im Mief der damaligen Verhältnisse nicht schwierig war – dass man sich heute kaum noch an ihn erinnert.
Die Caligula-Darstellung, die den test of time am besten besteht, ist die von Jay Robinson in „The Robe“ – er durfte diese Rolle in der Fortsetzung „Demetrius And The Gladiators“ noch bis zum bitteren Ende weiterspielen.
Wenn man sich seine Solo-Show im letzten Akt des Films heute anschaut, springt etwas ins Auge, was das damalige Publikum in seiner ganzen Größe und Kostbarkeit noch nicht ermessen konnte: Robinson ist die erste vollständig entwickelte männliche Drama-Queen der Popkultur: eitel und aufgedonnert, quirlig und laut, schwul und mit Oberwasser, in Farbe und Breitwand. Auch der Habitus des TV-Moderators ist hier schon angelegt. Er bringt in seinem recht kurzen großen Auftritt sogar die effektvolle Wendung unter, aus den Höhen gönnerhafter Arroganz in die gekränkte Eitelkeit abzurutschen.
Selbstverständlich hatte dieses Kabinettstückchen gegen Ustinovs Nero zwei Jahre zuvor keine Chance, und selbst in der gründlichen literarischen und filmischen Aufarbeitung „The Celluloid Closet“, in dem es um Homesxuellendarstellungen in der Antike des Kinos geht, fehlt er. Immerhin lebt er in den Disney-Bösewichtern unserer Tage fort, als Vorlage für Typen wie Hades oder den Scar der Bühnenfassung vom „König der Löwen“ und anderen Musicals.
Jay Robinson und sein Caligula haben eine Wiederentdeckung verdient.

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