Volk ohne Guthaben

betr.: 5. Todestag von Svetlana Geier

„Die Frau mit den 5 Elefanten“ ist ein beeindruckendes Filmportrait. Svetlana Geier war längst die wichtigste Übersetzerin russischer Literatur ins Deutsche, als sie sich dafür ablichten und auf einer Reise begleiten ließ. Diese Reise führte sie in die Heimat „ihres Autors“ Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Bis zu ihrem Eingreifen war eines von dessen wichtigsten Werken im deutschen Sprachraum unter dem Titel „Schuld und Sühne“ unterwegs gewesen (in mehreren Übersetzungen) und dieser Titel seinerseits Bestandteil des geflügelten Wortschatzes. Frau Geier stellte das richtig: nunmehr heißt das Buch „Verbrechen und Strafe“, so wie es im Englischen schon immer der Fall war.

Der Film zeigt die beinahe stillstehende Gründlichkeit, mit der die hier 86jährige Frau Geier ihre „5 Elefanten“ versorgt hat, Dostojewskis fünf große Romane. Siebzehn Jahre hat sie dafür gebraucht, und wir bekommen vorgeführt, mit welcher Millimeterarbeit diese zugebracht wurden.
„Wenn wir übersetzen“, erzählt sie von sich und ihrem Mitarbeiter, „liegt vor uns ein Buch, und wir denken, die Sprache fängt links oben an und hört rechts unten auf. Meine wunderbare Lehrerin pflegte mir auf Deutsch zu sagen: ‚Nase hoch beim Übersetzen!‘ Sie wollte dass ich, dieses kleine Mädchen, nicht von links nach rechts las, sondern dass ich einen Satz auffasste, die Nase hob und übersetzte. Das ist schon alles, was es zur Arbeit des Übersetzers zu sagen gibt!“
Das wäre dann vielleicht doch zu kokett – und dieses Zitat wurde natürlich schon häufiger missverstanden und als Hochnäsigkeit ausgelegt.
Aber ist das wirklich alles, was es dazu zu sagen gibt? „Das ist das Wichtigste“, räumt Frau Geier schließlich ein. „Die Übersetzung besteht immer aus dem Ganzen!“

Natürlich gibt es bei aller Demut und Hingabe der Heldin auch etwas zu lachen, denn Humor ist ab einem gewissen Grad an Klugheit unvermeidlich.
Zunächst lernen wir dies: „Sprachen sind nicht kompatibel! Die russische Sprache hat im Präsens kein Hilfsverb – haben und sein. Was im Deutschen Objekt ist – und von mir anhängig – wird zum Subjekt.“
Das illustriert sie mit einer Metapher, die uns wie die Antwort auf ein uraltes ideologisches Rätsel erscheinen mag: „Der Russe ist also nicht in der Lage zu sagen: ‚Ich habe ein Bankkonto!‘“
Wie ich an anderer Stelle erfuhr, hält die Sprache der Russen – eines Volkes, das sich seit den Tagen von Iwan dem Schrecklichen fast unausgesetzt von Diktatoren hat gängeln belügen und tyrannisieren lassen – andererseits unzählige Ausdrucksweisen dafür bereit, dass „etwas mit einem geschieht“, das man nicht selbst kontrolliert und wofür man keine Verantwortung übernehmen muss. Der Gegenreflex ist ein Trotz – das typisch slawische „jetzt erst recht“ (oft wider besseres Wissen, nicht immer zum eigenen Vorteil, gerne zum Nachteil aller anderen).

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