Die Nacht des Lebens

betr.: 100. Todestag von Aloys Alzheimer

„Die Welt wird kleiner. Jeden Tag ein bisschen“. Diesen verblüffend druckreifen Satz soll die bereits umnachtete Rita Hayworth einige Wochen vor ihrem Tod gesagt haben – was die Nachwelt berühmten Menschen halt so in den Mund legt.
Mit dem tragischen Ende der einst als schönste Frau der Welt gefeierten Hollywoodschauspielerin rückte die Alzheimerkrankheit vor bald 30 Jahren erstmals ins allgemeine Bewusstsein und ging sogleich in den Sprachgebrauch über. Es war ein Menetekel für eine immer älter werdende Gesellschaft.
An diesem gut sichtbaren Beispiel konnte die Welt die gruseligen Symptome von „Morbus Alzheimer“ studieren: den unerklärlichen Rückbau des Gehirns, das unaufhaltsame Versinken in geistiger Finsternis. Aber fast noch grauenvoller mag der Verlauf der Erkrankung gewirkt haben: der Patient wird vergesslich, erkennt Angehörige nicht, verwechselt Alltagsgegenstände – und hat zwischen diesen Aussetzern ausgiebig Gelegenheit, seinen Verfall zur Kenntnis zu nehmen.

Die Amerikaner hielten den Namensgeber dieser Krankheit zunächst für einen Landsmann, aber Aloys Alzheimer war nie in den Staaten gewesen.
Der 1864 im fränkischen Marktbreit geborene Nervenarzt sah in seiner frühen Wirkungsstätte, der städtischen Nervenheilanstalt in Frankfurt am Main, 14 Jahre lang tagtäglich Hunderte von Paralytikern dem Tod entgegendämmern, ein als Spätstadium der Syphilis vertrautes Krankheitsbild. Sein Kollege Franz Nissl unterstützte ihn in der Annahme, dass es wie bei organischen auch bei den Geisteskrankheiten klare pathologische Abgrenzungen gibt.
Nach dem frühen Tod seiner Frau Cäcilia ging Alzheimer nach Heidelberg. Dort wirkte Emil Kraepelin, der Begründer der klinischen Psychiatrie.
1906 wird Alzheimer vor einer Versammlung südwestdeutscher Psychiater den Fall einer 56jährigen Frau schildern. Sie weist alle Symptome der Krankheit auf, die den Namen des Arztes später berühmt machen wird: Orientierungslosigkeit, Apathie, Wahnideen und Artikulationsschwäche. „Präsenil“ nennt Alzheimer diesen Zustand. Dessen klare Abgrenzung von anderen Hinverfallskrankeiten wie dem gewöhnlichen Altersschwachsinn war aber erst nach dem Tod des Patienten möglich – durch eine Öffnung des Schädels.

Alzheimer + CoNach allem, was wir wissen, ist die liebenswürdige Aura des Familienpatriarchen Alzheimer kein Fake, aber so traut vereint war die Runde vor allem für den Fotografen.

Im dritten Stock einer Klinik in München, wo ihm Kreapelin ein Laboratorium einrichtet, wird sich der Workaholic nun seinen weiteren Studien widmen, ein als gütig und liebenswert, aber pingelig beschriebener Mann, der allergrößten Wert auf mehrmalige Prüfung aller Ergebnisse legt.
Er schont sich nicht und zieht sich schließlich auch noch eine eitrige Mandelentzündung zu, die in den letzten drei Jahren seines Lebens auch Herz und Nieren ruiniert.
Als Alzheimer mit 51 Jahren stirbt*, ist die von ihm entdeckte Krankheit noch immer rätselhaft. So soll es noch mindestens hundert Jahre bleiben.

_______________________________
* siehe dazu auch den Blog vom 5. November 2014

Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft, Hommage, Philologie abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert