Broadway’s Like That (13): Die Welt des Großen Gatsby

3. George Gershwin und das Jazz-Age (6) (Fortsetzung vom 11. Juni)

Überbordende Zuversicht und Lebensfreude sind das Kennzeichen von „I Got Rhythm“. Doch auch die Gershwins mögen die unterschwellige Melancholie des hektischen Zeitalters gespürt haben, eine Melancholie, in der etwa F. Scott Fitzgerald 1925 seinen Roman „Der große Gatsby“ enden lässt. Gatsbys Traum – der „amerikanische Traum“, sich selbst aus dem Nichts heraus neu zu schaffen – ist tragisch gescheitert. Gatsbys überdimensioniertes, bizarres Haus, das – hell erleuchtet, Überfluß bietend – die schillerndsten Gestalten zu endlosen Parties anzog – ein Sinnbild des Amerika der „Roaring Twenties“ – dieses Haus steht leer. Die Parties sind vorbei. Nach einem letzten Blick auf diese gewaltige, sinnlose Missgeburt von einem Haus, wendet sich der Ich-Erzähler des Romans der Küste Long Islands zu:

Die pompösen Villen längs der Küste waren jetzt fast alle geschlossen. Man sah kaum noch Lichter, höchstens die schwach beleuchtete Fähre, die sich schattenhaft über den Sund bewegte. Und indes der Mond höher und höher stieg, sanken die Häuser ins Wesenlose zurück, und vor mir zeichnete sich allmählich die alte Insel ab, die einst vor den Augen holländischer Seefahrer als ein blühendes Wunder aufgetaucht war, vorgewölbt wie eine schwellende grüne Brust der Neuen Welt.
Ihre längst versunkenen Bäume, die selben Bäume, die auch Gatsbys Haus hatten weichen müssen, hatten einst mit lockendem Geflüster dem letzten und größten aller Träume der Menschheit vorschub geleistet – es muß wie ein flüchtiger Augenblick der Bezauberung gewesen sein – und verschlug gewiß denen, die sich hier dem neuen Kontinent nahten, den Atem. Sie spürten wohl einen Drang zum reinen Genuß des Schönen – doch das begriffen sie nicht. Noch trugen sie Verlangen danach. Zum letzten Male in der Geschichte war ihnen vergönnt, von Angesicht zu Angesicht etwas zu schauen, das mit ihrem Wunderglauben in Einklang stand.

Eine leise Wehmut durchzieht auch Gershwins „Meadow Serenade“ aus „Strike Up The Band“ von 1927. Die „Meadow Serenade“ beschreibt die Sehnsucht nach einer vergangenen, tönenden Naturidylle, die der Zivilisation mit ihren Tankstellen und Reklametafeln hat weichen müssen. Wie bei einem Text Ira Gershwins nicht anders zu erwarten, wird die Wehmut von einem ironischen Unterton kontrapunktiert. Die Musik zum einleitenden Verse ist übrigens verschollen*. Burton Lane hat sie im Stile Gershwins nachkomponiert.

„Sweet And Low-Down“ aus “La, La Lucille” (1919) von und mit George Gershwin, auf einer Klavierrolle eingespielt.

Und noch ein Schlagwort ist mit den Wilden 20ern untrennbar verbunden: 1920 tritt die Prohibition in Kraft,  das verfassungsmäßige Verbot der Einfuhr, Herstellung und des Verkaufs von Alkohol. Das Volk wollte sich in den nun folgenden mehr als 20 Jahren, die dieses „edle Experiment“ aufrechterhalten wurde, selbstverständlich nicht vom Trinken abhalten lassen – ganz im Gegenteil. Die 20er Jahre waren eine sprichwörtliche große Party, auf der nun eben illegale Lieferanten für Nachschub sorgen mussten. Das unsinnige Alkoholverbot erlaubte dem Organisierten Verbrechen seinen Aufstieg, ließ die Mafia in den USA Fuß fassen – eine Entwicklung, die Mario Puzo später in seinem Bestseller „The Godfather“ festgehalten hat, der nicht minder erfolgreich von Francis Ford Coppola verfilmt wurde. Das Jazz-Age, wie die 20er auch heißen, endeten freilich schon etwas früher: mit dem Schwarzen Freitag von 1929, dem Börsenkrach, der die Große Depression auslösen sollte.

Ende des 19. Jahrhunderts waren die beiden Sphären E und U noch streng getrennt. In den Opernhäusern spielte man eifrig die Hits aus Europa, und in den Varietés liefen die Vaudeville-Shows, die meist aus einer Anhäufung von schlechten Sängern, schlechten Tänzern und schlechten Spaßmachern bestanden. Charlie Chaplins Mutter zum Beispiel hat dort eine Reihe glänzender Misserfolge gefeiert. Anfang des Jahrhunderts kamen dann die Revuen aus Europa und wurden begeistert aufgenommen. Das Problem mit diesen Revuen war, dass sie aus vielen guten Einzelstücken bestanden, die aber keinen großen Bogen hatten. Das störte die Leute damals nicht weiter – sie kamen in Scharen, und der Broadway hatte seinen ersten Boom.

Die Musik wurde in der Tin Pan Alley hergestellt, jenem Häuserblock in der 28. Straße, in der sich in Gestalt der großen Musikverlage richtige Unterhaltungsmusikfabriken entwickelt hatten. Einer der zahlreichen Arrangeure erfand eine ins Ohr gehende Melodie, und ein Textdichter pappte dann ein paar passende Worte darauf – voilá: ein Hit war geboren.

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Vor dem Siegeszug des Grammophons verkaufte die Musikindustrie hübsch dekorierte Einzelausgaben, Notenblätter mit einem Song von 32 Takten. Wer einen populären Schlager zu Hause hören wollte, mußte ihn selbst spielen. Eine Melodie mußte so gut sein, dass sie auch unter diesen schwierigen Bedingungen noch funktionierte. Mit „Swanee“ gelang es George Gershwin, sich aus der Tin Pan Alley zu lösen.

Das ging so, bis George Gershwin kam. Er war zu Anfang auch so ein Tin-Pan-Alley-Akkordarbeiter gewesen, aber er hat bald nur noch seinen Traum verfolgt: den Traum von einer amerikanischen Oper – nicht für’s Opernpublikum, sondern für alle Menschen -, deren Fabel und Musik ein Spiegel der Zeit und ihrer Probleme sein sollten. Mit einem Wort: „Porgy & Bess“!
Er verwirklichte diesen Traum 1935 und starb zwei Jahre darauf – noch nicht vierzigjährig – an einem Gehirntumor.

Forts. folgt____________________________
* siehe zu dieser Problematik den Blog vom 11. Juni 2016

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