Broadway’s Like That (25): Kurt Weill und Marc Blitzstein

6. Politik im Musical der 30er Jahre (3)

War Kurt Weill – von den Nazis aus Deutschland vertrieben – traf 1935 in New York ein. Seine neue Wirkungsstätte fand er am Broadway. 1936 kam „Johnny Johnson“ als erstes seiner amerikanischen Werke zur Aufführung. Entstanden im Auftrag des progressiven „Group Theatre“ ist „Johnny Johnson“ eine milde Antikriegssatire, welche die blauäugig-pazifistische Titelfigur, eine Art amerikanischer „Schwejk“, in den Ersten Weltkrieg ziehen sieht. Musikalisch ist „Johnny Johnson“ ein Werk des Übergangs. Seinem europäischen Grundton sind bereits Elemente amerikanischer Popularmusik beigemischt. Den europäischen Weill lässt der „Song Of The Guns“ erkennen, in dem die Kanonen selbst mahnend ihre Stimmen erheben.
„Johnny Johnson“ wurde ein Achtungs-, kein Publikumserfolg, und hinterließ auch bei einigen Kritikern eine gewisse Ratlosigkeit. Der Komponist Marc Blitzstein konstatierte allerdings in seiner Rezension des Stückes, dass Weill dem musikalischen Theater praktisch eine neue Form hinzugewonnen habe. Zwei Jahre später konnte Weill mit „Knickerbocker Holiday“ einen ersten moderaten Broadway-Erfolg verbuchen. Besonders der „September Song“ aus dem Stück wurde populär. Weills Musiksprache hatte sich nun stärker amerikanisiert, ohne ihre Eigenart zu verlieren. Nach der literarischen Vorlage von Washington Irvings Vorlage „Knickerbocker History Of New York“ entwarf der namhafte Dramatiker Maxwell Anderson Libretto und Songtexte von „Knickerbocker Holiday“, das in historischem Gewand ein aktuelles Thema behandelt. In Gestalt des letzten holländischen Gouverneurs von New York und seines jungen Gegenspielers werden Oppression und Machtmissbrauch mit Freiheitsidealen konfrontiert. Freilich hatte Anderson dabei weniger die europäischen Diktatoren als Roosevelt und den „New Deal“ im Sinn. Die schlimmsten Angriffe konnten ihm von den übrigen – für Roosevelt eingestellten – Mitarbeitern noch ausgeredet werden.

Jener Marc Blitzstein, der Rezensent von „Johnny Johnson“, hatte in Paris bei Nadia Boulanger und in Berlin bei Arnold Schönberg Komposition studiert. Bereits 1928 lernte er die „Dreigroschenoper“ von Weill und Brecht kennen. Seine Übersetzung sollte sie 1954 auch in Amerika populär machen, nachdem eine erste Übersetzung der „Dreigroschenoper“ 1933 am Broadway gescheitert war. Auf eine Anregung Brechts ging Blitzsteins Politmusical „The Cradle Will Rock“ zurück, auch Libretto und Songtexte sind von Blitzstein, ein eher sprödes, durchaus agitatives Stück über den Arbeitskampf in Steeltown/USA.
Der Komponist auf der Bühne am Klavier, die Schauspieler vom Zuschauerraum aus agierend, so sah 1938 die spektakuläre Premiere von „The Cradle Will Rock“ aus. Die Behörde, die das Stück im Rahmen eines Förderungsprojektes des „New Deal“ in Auftrag gegeben hatte, machte plötzlich Schwierigkeiten. Das vorgesehene Theater war am Premierenabend nicht zugänglich, und die Schauspieler und Musiker hatten von ihrer Gewerkschaft Auftrittsverbot erhalten. Die Aufnahme des Titelsongs von 1938 mit Marc Blitzstein am Klavier bewahrt etwas vom aufrührerischen Geist von Stück und Mitwirkenden. Sie wurde im Jahre 1999 von dem Schauspieler Tim Robbins als Regisseur bebildert: in seinem ambitionierten Kostümfilm mit Starbesetzung „Cradle Will Rock“ („Das schwankende Schiff“)*, der diese Ereignisse nacherzählt.

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* In der deutschen Synchronisation wird sich die Mühe gemacht, die recht umfangreichen Passagen aus der „Cradle“-Premiere mitzuübersetzen bzw. nachzudichten. Das riecht ein wenig nach „Stage Entertainment“, passt aber zu den politischen Botschaften der Songs, die dem Kabarett fast näher sind als dem Musical. Die Kritik zerriss diese Synchronfassung in der Luft – zum einen, weil ein solches Unterfangen handwerklich kaum gelingen kann und auch, weil wir auf die Originalstimmen der Darsteller verzichten müssen. Vielleicht wären deutsche Untertitel hier der bessere Weg gewesen.

Forts. folgt

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