Die Seriale 2017 – 3rd IndieSeriesFestival Giessen

betr.: 2. Festivaltag

seriale 2017

Welch ein Glück, dabeizusein, aber nicht (mehr) zur Jury zu gehören, schon wegen der Verschiedenheit der Beiträge. Die Ausweitung zum internationalen Ereignis hat die Qualität des Programms insgesamt gehoben, aber die deutschen Beiträge sind noch immer gut vertreten und sehen in diesem Gruppenbild sehr sexy aus.
Wie schon in den Vorjahren sorgt ein Animationsformat für besonderes Entzücken im Saal. Die Sketch-Comedy „TubeHeads“, die bessere der beiden diesjährigen Puppentrickserien, ist deutlich aufwändiger als der knuffig-müllige Look vermuten lässt. Sie glänzt mit schlauen Kino-Anspielungen und dummen Gesichtern, von denen der (eigentlich ja gesichtslose) Face-Hugger der „Alien“-Reihe das unwiderstehlichste hat. Serienmacher Axel Ricke erzählt, mit diesen Gag-Clips hätte er eigentlich einen YouTube-Channel bespielen wollen, doch der hierfür nötige regelmäßige Output war nur mit Mogelei zu schaffen (strecken, teilen, wiederholen …), so dass „TubeHeads“ zu einer Webserie wurde – zur Freude des Gießener Publikums.
Zu sehen unter:  https://www.tubeheads.de

Die beiden Serien, die mich ansonsten am zielsichersten getroffen haben, handeln von unserer schönen neuen Welt und äußern sich dazu, ohne sie einfach nur abzubilden oder zu behaupten. Damit bereits genug der Gemeinsamkeiten.
“MidnightMiracle“, eine englische Comedy mit Multikulti-Cast, hat das Tempo und den Look einer Sitcom, doch die Blödelei hat so viel Tiefe und Relevanz, dass ich in ihr eher eine Genre-Parodie erblicke. Die junge Lissa hat in einem unbedachten Moment ein Video hochgeladen, das über Nacht viral wird und sie zu einem YouTube-Star macht. Ihr ist das eher peinlich und sie hofft, die Affäre einfach aussitzen zu können. Leider möchte ihre mediengeile Schwester sie zu weiteren Clips anstacheln. Außerdem sitzt ihr ein Telefon-Stalker im Nacken, der sie als Agent vertreten möchte. Großartig auch, wie gut diese Geschichte im Episodenformat funktioniert (- während es durchaus Beiträge gibt, die sich einfach nur wie ein beliebiges Stück aus einem 90minüter anfühlen).
Zu sehen unter: https://www.youtube.com/playlist?list=PL_Auh7pTuvnsXFZkofG6_5AeHq4V9T5JL

In „Wishlist“ von Marc Schießer, Marcel Becker-Neu und Christina Ann Zalamea gibt es medienphilosophisch überhaupt nichts mehr zu lachen. In der Tradition des Klassikers „Das Millionenspiel“ wird unsere unterhaltungselektronische Befindlichkeit ein kleines Stück weitergedacht.
„Es ist jetzt nicht so, dass ich alle Menschen hasse“, sagt die zynische Heldin, die 17jährige Mira,  zu Beginn – und es ist gelogen. Sie stellt sich und ihrer Generation ein zappendusteres Zeugnis der Abstumpfung, sozialen Degeneration und Perspektivlosigkeit aus. Interessant finde ich, dass das eingangs gezeigte Mobbing in ihrer Klasse noch ganz handfest und analog geführt wird. Doch dann schlägt die große Datenkrake zu. Für Gegenleistungen, die zunächst an eine harmlose Schnitzeljagd erinnern, verspricht eine App die Erfüllung aller Wünsche. Die Langeweile des modernen Cyber-Daseins lässt Mira in diese Falle laufen, obwohl sie die Idee total bescheuert findet. Bereits am Ende der ersten Folge gibt es kein Zurück mehr, und wir ahnen das Schlimmste.
Bereits in der ersten Hälfte dieses Jahres räumte „Wishlist“ diverse Preise ab, darunter den Grimme-Preis für Innovation.
Zu sehen unter: https://www.youtube.com/wishlist-serie

Und hier noch ein Nachtgedanke: Wäre es nicht schrill, wenn wir die Serien in wahrhaft exotischem Originalton (zum Beispiel die Gastbeiträge aus Uruguay, Polen, Japan und dem Libanon) in deutscher Sprache sehen könnten? Das Seriale-Publikum braucht so etwas natürlich nicht, denn als Kinobesucher zählt man a priori zu einer höheren Klasse der Medienmenschen, für die „OmU“ Ehrensache ist. Aber was ist mit den vielen Web-Zusehern? Wir Deutschen sind gewohnt, alles in unserer Muttersprache serviert zu bekommen, da können wir noch so oft beteuern: „Ich kuck sowieso immer nur das Original!“
Wir erinnern uns: der Privatsender ProSiebenMAXX startete einst mit der feschen Annonce, hier könne man Spielfilme im Original mit Untertiteln sehen. Wenige Wochen später wurde diese Idee kommentarlos versenkt, und seither sendet er brav auf Deutsch.
Also, Hand auf’s Herz: wäre das nicht eine quirlige Aufgabe für die technisch hochgerüstete Community?
Doch halt!
Die schweizerische Produktion „My Wife Is A Pastor“ (der angelsächsische Titel ist auch bei fast allen deutschen Serien obligatorisch) lief doch tatsächlich in einer anrührend gruseligen selbstgebastelten Synchronfassung.
Schwamm drüber! Es ginge auch besser!

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