Mann aus dem Süden

betr.: Klassische Filmmusik / Alex North

Zwei Künstler gibt es, Musiker im weitesten Sinne, bei denen ich beim ersten Tönchen immer für einen kurzen Moment ein schlechtes Gewissen habe. „Ich habe ihn unterschätzt!“ zuckt es dann durch mein Gemüt. Bei Dean Martin liegt das daran, dass er in den Jerry-Lewis-Filmen immer nur die zweite Geige zu spielen schien. Dass das so nicht stimmt, fiel mir erst im Erwachsenenalter auf, daher mein schlechtes Gewissen. Woher aber kommen meine Gewissensbisse bei dem anderen, bei Alex North?

Es könnte daran liegen, dass mir sein aparter Personalstil nicht sofort einleuchtete, dieser Sound, der so gar nicht mit den anderen (meist älteren) Großmeistern der frühen amerikanischen Filmmusik vergleichbar ist. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Zum ersten Mal habe ich mir diese Frage gestellt, als Alex North 1991 starb, also zu einem Zeitpunkt, da seine Kollegen aus dem „Golden Age“ der Filmmusik längst von uns gegangen waren. Mein Aufhänger, darüber noch einmal nachzudenken, ist das kürzliche Erscheinen eines seiner Werke auf CD – na endlich! Das tüchtige Label „Kritzerland“ hat „Hot Spell“ („Hitzewelle“) herausgebracht, den Soundtrack zu einem der ersten Filme mit Shirley MacLaine. Ich kenne weder den Film, noch habe ich die CD schon erhalten – sie ist lediglich bestellt. Trotzdem bin ich schon jetzt vor Freude aus dem Häuschen. Warum?

Zunächst einmal kann Alex North bei mir wenig falsch machen. So sehr ich schöne Melodien liebe, bei ihm kann ich gern darauf verzichten. Ich verstehe nichts von „neuer Musik“, von dieser absichtlich schwer zugänglichen Richtung, der Klangkünstler wie Philip Glass, Hans Werner Henze und Alban Berg zugerechnet werden. Aber auch North tut nichts, um meinem spätromantischen Gehör zu schmeicheln. Es rummst und klirrt schon mal aus unerwarteter Box, kaum ein Thema geht so zuende, wie es das harmonisch eingenordete Ohr gern hätte, und fast immer liegt eine abgründige Ahnung in der Luft. Außerdem ist North – und hier berechtigt der Titel des „neuen Albums“ zu den schönsten Hoffnungen – ein sehr sommerlicher Komponist. Er schafft es, dieses Flimmern der erhitzten Luft an einem ländlichen Augustnachmittag hörbar zu machen. Folglich ist er immer dann besonders effizient, wenn er in schwülen Stoffen zu hören ist: in Wüsten-Epen („Cleopatra“), Sandalenfilmen („Spartacus“) oder Südstaaten-Dramen („The Sound And The Fury“, „The Misfits“, „The Long Hot Summer“, „A Streetcar Named Desire“ u.v.a.m). Oder eben in Filmen, die Menschen zeigen, denen der südliche Sonnenschein die Hormone durcheinanderbringt („The Rose Tattoo“)*. (Seine „Südlichkeit“ ist aber eine rein akustische – er kam in Pennsylvania zur Welt.) Außerdem ist sich Alex North wie kein anderer Komponist des magnetischen Zeitalters darüber im Klaren gewesen, wie seine Musik beim Zuhörer ankommen wird. Seine Arrangements sind stets so beschaffen, dass sie den damaligen Stand der Hi-Fi-Technologie berücksichtigen und davon profitieren. Sie nutzten die Verzerrungen des Lichttons optimal, die auf den seinerzeitigen Filmtonspuren – dem „Sound-Track“ – üblich waren.

Da befällt mich eine schreckliche Befürchtung: Könnte die von mir bestellte CD eine Neu-Einspielung sein? Ein messerscharfes DDD-Recording? Ach, nein – Kritzerland arbeitet ja mit Originalbändern.

* North ist nebenbei auch der Komponist der „Unchained Melody“, die über einen späteren Einsatz in einer Fantasykomödie von 1990 einer neuen Generation zum Ohrwurm wurde: „Ghost – Nachricht von Sam“.

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  1. Pingback: Der Song des Tages: "The Long Hot Summer" - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

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