Leitfaden für Solokünstler

betr.: Comedy / Kabarett / Kleinkunst

Meine Zeit als „Live-Performer“ liegt Jahre zurück, aber beim Besuch der Vorstellung eines jüngeren Kollegen fiel mir mein alter Leitfaden wieder ein. Nicht sofort vollständig – deshalb habe ich ihn wieder herausgesucht:

DIE ZEHN GEBOTE DES SOLOKABARETTS

Das Publikum ist freundlich und lässt dem Künstler vieles durchgehen. Häufig wird aus reiner Höflichkeit auf seine Äußerungen reagiert – dann entsteht dieses grummelnde, leise Lachgehuste, eine untrügliche Geste des Mitleids, mit der der nachlässige Darbietende aber allzu oft zufrieden ist. Diese Regeln sollen verhindern, dass Sender oder Empfänger in eine solche Verlegenheit geraten.

1. Halte dein Publikum nicht für dumm! Erkläre deine Pointen nicht – weder vorher noch danach noch nach der Vorstellung. Ein unverständlicher Witz zündet auch durch Analyse nicht.

2. Zieh nicht den Schwanz ein!
Wenn du Anstoß erregen willst, darfst du dich nicht wundern, wenn wirklich jemand angestoßen wird. Entscheide dich vorher, ob du niedlich sein oder provozieren willst. Beides auf einmal geht nicht.

3. Entschuldige dich nicht
für das Gesagte oder – schlimmer noch – für das, was du gleich sagen wirst. Pauschale Einführungen wie „Ich bin übrigens schwer krank und kann deshalb meine Texte noch nicht“ werden im Zweifelsfalle sofort geglaubt. Es gilt das Motto der Queen: „Niemals klagen! Nichts erklären!“

4. Werde nicht privat!
Formulierungen wie „Wir tun jetzt einfach mal so, als wäre ich seit vorgestern Single und hätte ein großes, leeres Hotelzimmer“, werden durchschaut, auch wenn du der Meinung bist, sie originell verpackt zu haben.

5. Tu nicht so, als müsstest du über dich selber lachen!
Wenn du es tatsächlich musst, mach’s kurz. Hier sind die Zuschauer Kummer gewohnt, aber man sollte das nicht ausnutzen.

6. Leute im Publikum nach ihrem Namen zu fragen
, um sie dann dauernd persönlich anzureden, galt in den 80er Jahren in kleinbürgerlichen Kreisen als weltläufig, keck und verwegen. Es ist billig und überholt.

7. Baue auf Tournee lokale Begriffe wie Straßennamen nur dann in deinen Text ein, wenn du diese tatsächlich kennst, sonst wird es sofort als miese Anbiederung durchschaut. Wenn du wirklich hier wohnen würdest, hätte es sich herumgesprochen.

8. Lachpausen sind peinlich!
Lass dich von der Reaktion der Leute unterbrechen!

9. Lasse deine Zuschauer nicht häufiger als nötig mitspielen, auch nicht auf ihrem Platz.
Das Konzertieren ist deine Aufgabe. Das Füllen des Programms übrigens auch.

10. Wenn du nichts zu sagen hast, geh ab. Du solltest Dinge wissen, die ich im Publikum nicht weiß und Schlüsse ziehen, auf die ich noch nicht selbst gekommen bin. Warum sonst sollte ich dir zuhören? Pflege einen eigen Stil, vermeide aktuelle Modefloskeln, wenn es auch anders geht. Die meisten geflügelten Worte und Redensarten hängen dir selbst zum Hals raus. Vergiss nicht: Wer Eintritt zahlt, will dem Alltag entfliehen. Rede da oben auch mal von was anderem als dem Alltag!

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