Kräuter der Provinz

betr.: Synchron / Dialekte / Saarländisch

Dass in unseren Tonstudios und -ateliers Dialekte so verpönt sind, halte ich für falsch. Wer unsere Lebenswirklichkeit einigermaßen trefflich abbilden will, kommt an ihnen nicht vorbei. Außerdem etablieren sich immer wieder regionale (Kraft-)Ausdrücke im bundesweiten Wortschatz, und meistens sind sie sehr amüsant. Dennoch bin ich ein Liebhaber des Hochdeutschen.
Außerhalb des Studiobetriebs habe ich das umgekehrte Problem. Immer wieder muss ich mich belehren lassen, wer wirklich Relevantes mitzuteilen habe, dem sei der Dialekt das einzig wahre Kommunikationsmittel. Kein Geringerer als Albert Uderzo begrüßte die Idee, Mundart-Versionen seiner Asterix-Comics herauszubringen, mit dem Hinweis, das sei eine besonders angemessene und präzise Erzählweise. Schließlich habe doch der Volksmund unzählige Begriffe parat, die man in der Hochsprache erst mühselig erklären müsse. Im Saarländischen gibt es zum Beispiel ein unübersetzbares dreisilbiges Adjektiv, das Trotz, Sadismus, Häme und Rachsucht vereinigt: „gradselääds“ (etwa „gerade zum Leide“). Und das sei ein weiterer Vorteil des Dialekts: man erkenne an den jeweiligen Spezialausdrücken, wie die Bevölkerung ticke. (Das ist unzweifelhaft richtig!)*
Trotzdem wollte ich mich der Idee von der Überlegenheit des Gebabbels über das Gerede nicht anschließen. Und eines Tages erhielt ich den Beweis – oder besser: den Gegenbeweis.

Es war Ende der 80er Jahre. Eine Bekannte hatte mich zu ihrem Mundart-Gedichte-Abend in Saarbrückens winzigste Kleinkunstbühne gebeten. Widerwillig folgte ich der Einladung – aber ich sollte es nicht bereuen. Die Künstlerin sprach auf der Bühne von ihren Ängsten, ihren Komplexen, ihren Träumen und Hoffnungen – und auf Platt hätte das ja laut Uderzo & Co. nun besonders gut funktionieren müssen. Aber leider gibt es so einiges, worüber man auf dem Lande nicht reden mag – z.B. seelischen Nöte, Komplexe, Ängste und Hoffnungen. All das Unaussprechliche mußte die junge Poetin nun aus dem Hochdeutschen „rückübersetzen“. So wimmelte es in ihrem Vortrag von improvisierten Stilblüten wie „Verluschdängschde“, „Änsamkäät“, „noohdenklisch“ oder „sehnsischdisch“. Diese Spontanvokabeln überstiegen bei Weitem die „angemessenen und präzisen“ Stücke des regionalen Wortschatzes. Die verbreitete These war trefflich widerlegt. Nach der Vorstellung lobte ich die Kollegin aufrichtig und ging federnden Schrittes nach Hause.

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* In Aufsätzen und Fachliteratur zum Thema „Saarländisch“ wird immer wieder der Begriff „Flatschnickel“ für „Tolpatsch, Trottel, Trampel“ als besonders schöne lokale Wortschöpfung angeführt. Ich halte dieses Wort für ein Gerücht. Ich habe es in 17 Jahren intensiver Gespräche mit Menschen im Saarland kein einziges Mal gehört. Der nicht ganz so kritisch konnotierte Ausdruck „Flappes“ ist hingegen recht gebräuchlich.

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2 Antworten zu Kräuter der Provinz

  1. Edeltraud Bartzen sagt:

    Den „Flatschnickel“ gibt’s wirkllich im Saarland
    ich kann s bestätigen!
    Wird sogar oft benutzt!

  2. Pingback: So fließend wie fehlerhaft - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

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