Ist Hollywood noch zu retten?

betr.: Literatur / Superhelden / „Doc Savage“

Meine Antwort auf die Überschrift: Ich glaube nicht. Hollywood ist in Schwierigkeiten, das Fernsehen bekanntlich längst das bessere Kino und der Satz von der Unmöglichkeit, heutzutage eine vernünftige Geschichte in 90 Minuten zu erzählen, ist auf dem besten Weg zum geflügelten Wort. Die unvermeidlichen Fortsetzungen jedes halbwegs erfolgreichen Films wirken wie eine Reaktion darauf, aber sie haben in Wirklichkeit einen anderen Grund – das andere Problem Hollywoods, das noch schlimmere: diese Leute wissen einfach nicht, was sie uns noch erzählen sollen. Was tun, wenn die Marvel-Comics alle durchgenudelt, die Remakes alle getan sind?
Schade, dass mich mal wieder keiner fragt.

Ich muss etwa 13 gewesen sein. Eine Freundin der Familie, die anlässlich ihres Umzuges – „Wir haben sie nie wiedergesehen!“ – die Wohnung ausmistete, legte ungefragt einen Stapel aus etwa zwanzig Taschenbüchern in unseren Eingangsbereich. Noch ehe meine Mutter den Schund entsorgen konnte, hatte ich ihn in mein Bücherregal geschafft. Es war eine Entdeckung und der Beginn eines wirklichen Lesevergnügens!

Von der Romanreihe „Doc Savage – Der Mann aus Bronze“ hatte ich noch nie gehört. Es waren sogenannte „Pulps“, eine mir noch unbekannte Buchform, deren Ruf noch unter dem der Comics rangiert.° (Diese Serie rangiert sogar so weit unten, dass sie m. W. nicht einmal auf Sammlerbörsen eine Rolle spielt.) „Doc Savage“ war ein im Labor gepimpter Supermensch, was sowohl seine Intelligenz, seine Bildung und seinen Oberkörper als auch seinen unbestechlichen Edelmut geformt hatte. Der Autor, ein gewisser Kenneth Robeson, war sich über die Langweile wohl im Klaren, die ein solcher Moralinmutant verbreitet hätte (ganz im Gegensatz zu den Schöpfern von „Superman“), und stellte ihm eine fünfköpfige Truppe malerischer Helfer an die Seite. Jeder von ihnen hatte ein Spezialgebiet und eine Vielzahl von Macken, mit denen diese Burschen ständig um die Aufmerksamkeit des Lesers wetteiferten.

Erst viel später erfuhr ich, dass Lester Dent, der sich mit anderen hinter dem Verlagspseudonym Kenneth Robeson verbirgt, seine Geschichten ein knappes halbes Jahrhundert zuvor verfasst hatte. Sie erschienen in den USA zwischen 1933 und 1949, und von den 181 Ausgaben schrieb Dent immerhin 165 selbst. Dass ich das Zeug angesichts der technischen Ausstattung und der latenten Cold-War-Atmosphäre für zeitgenössischen Lesestoff gehalten hatte, imponierte mir nachträglich ungemein. Zumal die Übersetzung schlampig und uneinheitlich (mal siezten die fünf Kollegen einander, mal duzten sie sich) und voller Druckfehler war. Und auch der Inhalt wäre bei Sigrid Löffler nicht mal als „Kolportage“ durchgegangen. Etwas Recherche hätte dem Werk wirklich gutgetan. Aber es gab Textpassagen, die mich geradezu poetisch anwehten:

Die Fantan Road begann mit prächtigen Wohnhäusern und einer neuen Asphaltdecke, wurde aber nach der Nummer tausend immer schäbiger und erinnerte in den Sechstausendern an den Alptraum eines übereifrigen Grundstücksspekulanten. Schließlich hörte die Fahrbahndecke ganz auf, die Straße versickerte und bestand nur noch aus zwei tief eingekerbten Räderspuren. Sogar die Telefonmasten, die die Straße an einer Seite säumten, waren verrottet und verschieden hoch. Hier gab es kaum noch Häuser, und es mutete seltsam an, dass sich überhaupt noch jemand die Mühe gemacht hatte, die vereinzelten Baustellen und Ruinen zu nummerieren.

„Feuerzeichen am Himmel“ („The Secret In The Sky“)

(Heute muss ich bei diesem Text an die Hamburger Hoheluftchaussee denken, eine Straße, die recht quirlig beginnt und sich dann langsam auflöst …)
Was dieser Autor aber besonders gut beherrschte, war das Erschaffen dreidimensionaler Figuren, die man nicht mehr vergaß – auch wenn sie mal für 30 Seiten nicht auftraten. Da waren zum einen die prallen Beschreibungen dieser Typen: „ein schielender Athlet im Matrosenanzug“, „der kleine Kerl mit dem abgesägten Gewehr“, „schmächtig – eine Motte von einem Mann“. Wichtiger noch aber waren ihre Namen, die von H. P. Lovecraft angeregt schienen oder sich wie die Zuhälter aus Storyville anhörten: Stanley Watchford Topping, Griswold Rock, Seaworthy, Quince Randweil, Stunted, Captain Flamingo, Sigmund Hoppel, die Diamanten-Eva oder Heck Noe, der Eskimo-Mineraliensucher. (Genau! Auch die Berufe machten Spaß!) Jede Figur, auch die kleinste Nebenrolle erfuhr diese Sorgfalt – mit Ausnahme des Protagonisten.
In der Weltliteratur gilt Lew Tolstoi als der Meister der Kunst der Figurenzeichnung (neben vielen anderen Qualitäten natürlich), aber auch die Liste prominenter Versager in dieser Disziplin ist lang, vor allem wenn es um die Namen geht. Parallel zu „Doc Savage“ las ich fast alles von Agatha Christie. Bei ihr ist es beim besten Willen unmöglich, die Charaktere auseinanderzuhalten. Wie wenig einem die Namen dabei helfen, der Geschichte zu folgen, hat Loriot in seinem berühmten Sketch mit der Fernsehansagerin vorgeführt, die vergeblich versucht, einen englischen Fortsetzungskrimi anzumoderieren. Aber Frau Christies Namen klingen wenigstens hübsch, wenn sie sich auch seltsam gleichen. Richtig peinlich wird es bei Francis Durbridge, dem wichtigsten und erfolgreichsten Krimiautor der frühen deutschen TV-Geschichte, dem Vater der sogenannten „Straßenfeger“. Jahrelang habe ich geglaubt, bei Mr. Durbridge handele es sich um das Pseudonym eines deutschen Drehbuchautors, so provinziell (im bundesrepublikanischen Sinne) waren die Rollennamen: das waren entweder Blindtexte wie Mike Brown, John Miller oder Peter Smith (sprich „Smiss“) oder sie schienen sich beim deutschen Nachkriegspublikum durch ihren vertrauten Klang anbiedern zu wollen: Julie Andrew, Carl May oder Mr. Batman, auch bei Ortsangaben verfuhr er nach dieser Devise („Das Haus am Eaton Square“ …).

„Kenneth Robeson“ hatte noch eine zweite Qualität, die ich im heutigen Medienangebot vermisse. Seine Plots waren derart larger than life, dass alle sehr gut in ihnen aussehen konnten – besonders die Schurken.
Auch Stoffe mit offensichtlichen literarischen Vorbildern schmeckten wie selbstgemacht:

Die biologischen Versuche des genialen Wissenschaftlers Pere Teson sind überaus erfolgreich. So segensreich sein Medikament wirken kann, so gefährlich ist es in der Hand eines skrupellosen Verbrechers. Aus dem Abschaum der Menschheit zieht er sich eine Horde ungestalter Ungeheuer heran. Ein altes Schloß mit gewaltigen elektrischen Sicherheitsanlagen wird zum Zentrum seiner unheimlichen Macht …

Klappentext zu „Die Monsterbande“ („The Monsters“)

Wir wollen aber nicht vergessen, das Doc Savage selbst jenem „Superman“ um einige Jahre voraus war, den heute alle für den ersten Superhelden der Popkultur halten. Und er hatte Ambitionen, für die seine Nachfolger schlichtweg keine Zeit mehr haben. Seine heutigen Kollegen bekämpfen stets nur die Symptome der gesellschaftlichen Übel und interessieren sich nicht für deren Ursachen, wie schon Wolfgang J. Fuchs in seinem Standardwerk „Comics – Anatomie eines Massenmediums“ beklagte: „In den seltensten Fällen denken Superhelden daran, Kriminellen eine Resozialisierung zu ermöglichen.“ Da war der gute Doc aber aus anderem Holz! Er unterhielt im Norden des Staates New York eine Gehirnwaschanlage („das Institut“), in der dafür gesorgt wurde, dass die Übeltäter kein „The Return“ erlebten. (Na, an dieser Stelle hätte dem jugendlichen Leser vielleicht dämmern können, dass die Texte aus der Zeit vor 1945 stammen …) Für den Autor brachte es dieser Kniff mit sich, dass er sich ständig was Neues einfallen lassen musste, während spätere Serien-Düsterlinge wie Lex Luthor oder Mxyzptlk* mit der Regelmäßigkeit einer ungeliebten Jahreszeit immer wieder auftauchen konnten.
Und Robesons Schurken waren nicht von Pappe! Die Einblicke in ihr Handwerk waren stets präzise und anschaulich, aber unmöglich zu Hause nachzumachen:

Vor nicht ganz einer Stunde waren die spitznasigen Patronen, mit denen die Pistolen geladen waren, und die Spitzen der Schwerter mit einigem Zeremoniell in ein Stück rohes Fleisch gespießt worden, in das zuvor eine gefährliche Giftschlange wiederholt ihre Zähne geschlagen hatte. Die Männer wussten aus Erfahrung, dass die geringste Verletzung durch ihre Waffen sofort zum Tod führte.

„Doc in der Falle“ („The Phantom City“)

Mein Lieblingsbuch des Stapels war die Folge, die des Helden im Ewigen Eis gelegenes Geheimlabor besonders thematisiert. (Später habe solche Anlagen bei DC und bei James Bond wiedergesehen.) Wie in dieser Ausgabe ein russischer Beamter um die Ecke gebracht wird, will ich euch nicht vorenthalten, Freunde:

Die Angestellten hasteten zum Studio. Sie rissen die Tür auf und blieben erstarrt stehen. Sie trauten ihren Augen nicht. Serge Manow war pechschwarz geworden! Serge Manow war unglaublich schwarz. Nicht nur seine Haut war schwarz, sondern auch seine Fingernägel, seine Augen und seine Zähne waren schwarz geworden. Sogar seine Kleidung war verdunkelt, als hätte jemand sie in chinesische Tusche getaucht. Der Butler stöhnte, der Chauffeur stieß ein ächzendes Geräusch aus, und die Finger der Köchin zitterten. Das Blut aus der Wunde tropfte auf den Boden.
„Genosse Manow!“ rief das Zimmermädchen. Sie war zwar Amerikanerin, aber überzeugte Kommunisten; deswegen hatte Manow sie eingestellt.
Die schwarze Statue, die nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit Serge Manow hatte, verfärbte sich abermals, wurde sepiafarben, geriet in Bewegung, löste sich scheinbar in Rauch auf, der vage die Form eines menschlichen Körpers bewahrte, und näherte sich der Tür.
Die Köchin kreischte auf und kleckste noch mehr Blut auf den Boden und gegen die Wand, aber der Chauffeur fand seine Geistesgegenwart wieder. Er zog eine schwere Zange aus der Hüfttasche und schleuderte sie dem gespenstischen Gebilde entgegen. Die Zange durchdrang die Erscheinung, als wäre sie wirklich nur Rauch, prallte gegen die gegenüberliegende Wand und riss den Verputz herunter.
Dann löste sich der Rauch unvermittelt auf. Er breitete sich nicht aus, er zerfloss, er wurde durchsichtig und war plötzlich nicht mehr da.
„Ich habe ihn umgebracht“, flüsterte der Chauffeur.

„Die Festung der Einsamkeit“ („The Fortress Of Solitude“)

Meine Jugend ging zuende, und die frühen Tage des Privatfernsehens spülten nicht nur diverse alte Fernsehserien zurück in unsere Stuben (mit vielen ergänzten, noch nie gesehenen Episoden), man sah auch eine Unmenge kurioser Filme, die seither wiederum praktisch unzugänglich sind. Einer davon zeigte den Bildschirm-Tarzan Ron Ely in der Rolle des Bronzemannes Doc Savage. Ich konnte es kaum erwarten, mir das – Jahre nach der letzten Taschenbuchlektüre – anzusehen. Es war bestürzend! Das Werk troff nur so vor Patriotismus und quasimoralischen Plattheiten. Mit der ersten dieser Predigten wurde nicht, wie sich das gehört, bis zum Showdown gewartet, sie ertönte schon vor dem Zug in den Kampf, und sie war von einem Kaliber, das Witta Pohl hätte vor Neid erbleichen lassen.**

Merken Sie was, liebe mitlesende ausländische Filmproduzenten, die sich gerade vor Ratlosigkeit die letzten Haare ausraufen? Das wäre doch endlich mal ein Remake, bei dem man nichts falsch machen kann!

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* Dieser berühmte Figurenname wird erst richtig schön, wenn man ihn laut mitliest: „Mixizet-Petelka“
° siehe dazu auch das Kapitel “Pulp” in der Serie “Synergien in der Popkultur: Vier kleine Worte (4)” vom 29.9.2014

** Wissenswertes zum Film findet sich unter Doc Savage Archives_ The Curtis Magazine #1 – Doug Moench – Google Books.html

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3 Antworten zu Ist Hollywood noch zu retten?

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