Wie hätte Walt es gemacht? – So nicht!*

betr.: 93. Geburtstag von Heinrich Riethmüller

Leider hat „Dalli Dalli“ selbst nie so doll gefetzt wie seine Erkennungsmelodie, eine schmissige Big-Band-Nummer. Ihr Komponist saß in der Show stets persönlich an der Bontempi-Orgel und spielte – unterstützt von einem Sextett – die Jingles und Musikbetten für die Spiele der Promi-Kandidaten: ein gemütlicher Herr mit rundem Gesicht, der gelernte Kirchenmusiker Heinrich Riethmüller. Der hatte aber noch allerhand mehr zu bieten.

Dass „Das Dschungelbuch“ (zu recht) der hierzulande beliebteste Disney-Cartoon-Klassiker ist, liegt zu einem erheblichen Teil an der Synchronfassung: der Besetzung des korrupten Orang Utans King Louie mit dem Kabarettisten Klaus Havenstein z.B. – und der klugen Gelassenheit, mit der die Songs nachgedichtet wurden. Damals war es offenbar erlaubt, sinngemäße Übersetzungen herzustellen und nicht am Wortwörtlichen zu kleben, Übersetzungen also, die sich dann oft wie Originaltexte anhörten. Und es gab mit Riethmüller einen Dialogbuchautor und Songtexter, der die richtigen Einfälle dazu hatte. Den Satz „Look For The Bare Necessities“ mit „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ zu übersetzen, ist ein historischer Glücksfall. (Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte man Michael Kunze das „Dschungelbuch“ übersetzen lassen! Dann sängen Balu und Mogli heute vermutlich „Konzentrier‘ dich auf das Wesentliche, immer auf das We-sent-liche!“) Dieser Geniestreich wird meines Erachtens nur von einer anderen Riethmüller-Zeile übertroffen: in den „Aristocats“ machte er aus „Ev’rybody Wants To Be A Cat“ „Katzen brauchen furchtbar viel Musik“.
Selbstverständlich sind auch die Dialoge zwischen den Shownummern großartig.

Riethmüller war zwischen 1964 („Mary Poppins“) und 1981 („Cap und Capper“) als Autor und Regisseur für die Eindeutschung der abendfüllenden Disneys zuständig, und übernahm in dieser Zeit auch jene Filme, für die neue Textfassungen gefertigt wurden – für „Susi und Strolch“ und „101 Dalmatiner“ etwa oder „Bambi“ (in dessen erster Fassung der halbwüchsige Frank Elstner die Titelrolle gesprochen hatte). Betrüblicherweise wurde die ungefragte Wohltat, jeder Generation eine neue Synchronfassung zu „schenken“, auch nach Riethmüllers Zeit vom Studio beibehalten. „Schneewittchen“ wurde schrecklich zugerichtet: die historischen Bilder beißen sich unangenehm mit der hartgelackten Fröhlichkeit der neuen Tonspur. Auch das „Dschungelbuch“ stand auf dieser Abschußliste – doch dann geschah ein Wunder. In nicht einmal zehn Jahren war „Arielle, die kleine Meerjungfrau“ in zwei deutschen Fassungen vorgelegt worden, was vom Publikum nicht akzeptiert wurde. Zwar gab es zunächst nur die neue Version davon auf DVD, doch bei der nächsten Ausstrahlung des Films am 29.12. auf RTL kehrt man zu der alten Fassung zurück. Seit diesem Mißgeschick im Jahre 1998 ist von Disney zwar weiterhin emsig an den eigenen Klassikern herumgepfuscht worden, aber nur am Bild – Retuschen wurden vorgenommen, Farben „aufgefrischt“. Baghira und Co. haben auch ihr Fett weggekriegt: Sie sind unlängst auf 16zu9 heruntergesägt* worden, aber ihre deutschen Stimmen haben Schonzeit – einstweilen!

 

* Die Frage „Wie hätte Walt es gemacht?“ ist angeblich der Leitsatz aller künstlerischen Entscheidungen im Hause Disney. Die Entscheidung, „Das Dschungelbuch“ in 4:3 zu produzieren stammt aber noch vom Meister selbst. Er starb, ohne den fertigen Film gesehen zu haben.

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