Der gestolperte Engel

betr.: 106. Geburtstag von Freddie Frinton

Über die meistwiederholte TV-Sendung der Welt – den 18minütigen Sketch „Dinner For One“, den der NDR 1963 mit einem in seiner Heimat praktisch unbekannten Komiker im englischen O-Ton aufgezeichnet hat – ist schon so viel erzählt und geschrieben worden. dass wir uns heute ausnahmsweise dem Darsteller des tapferen Butlers im Zentrum der Geschichte zuwenden wollen.
Dass Freddie Frinton nicht als großer Star gelten kann, liegt weniger an seinem mangelnden Fleiß als daran, dass so gut wie keine bewegten Bilder von ihm vorliegen bzw. zugänglich sind (– insofern ist es nur folgerichtig, den Silvester-Sketch am Laufen zu halten). Im Kino war er nur in Kleinstrollen zu sehen, seine Alterskarriere beim Fernsehen, die Hauptrolle in der ersten Comedy-Serie der BBC, verstaubt heute in den Archiven; rechtliche Streitigkeiten verhindern eine neuerliche Auswertung.

Freddie Frinton, der unter dem Namen Frederick Coo zur Welt kam, war ein Komiker alter Schule, ein ehemaliger Truppenbetreuer, der sich noch mit Mitte 50 als Vaudeville-Entertainer durchschlagen musste. Wie in diesen Kreisen (und auch in der englischen Stand-Up-Comedy-Szene) üblich, hatte er wenig Repertoire. Er tingelte mit einer Handvoll Acts durch verschiedene Varietéprogramme, die in Küstenstädten wie Blackpool für die Touristen aus der Arbeiterklasse gespielt wurden. Die gammelige Tristesse solcher „Erholungsorte“ hat der Dramatiker John Osborne in seinem Drama „The Entertainer“ als Sinnbild für die Heruntergekommenheit des britischen Empire benutzt. Der von Laurence Olivier gespielte Titelheld führt in etwa das Leben von Freddie Frinton und seinen Kollegen. 1995 setzte der Regisseur Peter Chelsom das Seebad Blackpool weitaus liebevoller in Szene, aber auch in „Funny Bones“ wird die Mühsal der dortigen Unterhaltungsindustrie nicht verschwiegen.
Frintons Glanznummer „Dinner For One“ war schon in den 20er Jahren von Lauri Wylie* verfasst und später für kleines Geld an einen Theaterverlag verkauft worden. So tauchte der Sketch 1953 in einer Revue auf und wurde in den folgenden Jahren von verschiedenen Komikern gespielt – jedesmal wurden Tantiemen fällig. Frinton spielte ihn ab 1954 und erwarb schließlich die Exklusivrechte vom Verlag.

Frinton

Als er mit der vierzigteiligen BBC-Serie „Meet The Wife“ endlich zu etwas Popularität gelangte, nahm er jeden Job an, der ihm angeboten wurde. Er war glücklich, endlich gut für seine Familie sorgen und sich ein Haus in London leisten zu können, beklagte aber seiner Frau Nora gegenüber häufig, er hätte diesen Erfolg lieber als zehn Jahre jüngerer Mann gehabt.
Frinton trank zwar so gut wie nie (!), rauchte aber umso heftiger und achtete auch sonst nicht auf seine Gesundheit. Das rächte sich: Am 16. Oktober 1968 traf ihn nach der Heimkehr von der Vorstellung der Schlag – gerade mal 59jährig. Auf diese Weise versäumte er die bereits anberaumte Gelegenheit, ein farbiges Remake von „Dinner For One“ für das deutsche Fernsehen herzustellen.

Wie sich das gehört wurde Freddie Frinton in Ealing beigesetzt, jenem Londoner Stadtteil, der Mitte des 20. Jahrhunderts für seine Filmkomödienproduktion, die „Ealing Comedies“, berühmt war. Seine greise Partnerin, ihre Ladyschaft May Warden, überlebte ihren und unseren Butler James um zehn Jahre. Sie durfte noch als Obdachlose ohne Text zu Stanley Kubricks Gruselfilm „Uhrwerk Orange“ beitragen. Die wichtigste 90jährige der deutschen Fernsehgeschichte wurde 87 Jahre alt.

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* Lauri Wylie (Morris Laurence Samuelson) hatte es auch nicht leicht. Er starb 1951 mittellos in seinem Heim: einem Wohnmobil. Sicher unbeabsichtigt, aber doch bezeichnenderweise, gibt die Edition Nautilus, die „Dinner For One“ als Buch herausbrachte, noch in der 3. erweiterten Ausgabe von 1990 an, der Verfasser sei unbekannt.

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2 Antworten zu Der gestolperte Engel

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