Lauter kleine Individualisten

betr.: 84. Geburtstag von Paul Deliège

Ohne es zu merken, war ich in Kindertagen ein Stammkunde des Comickünstlers Deliège: ich liebte „Bobo“, den „König der Ausbrecher“ (dessen Abenteuer nichtsdestotrotz fast ausschließlich im Zuchthaus Riegelfest abliefen) und die „Gifticks“, drei Gnome in geheimnisvoller Robe, die sich in den Kopf gesetzt hatten, die Herren der Welt zu werden. Es gab drollige Indianer-, Trapper und Detektivgeschichten, die alle von dem Belgier Paul Deliège stammten, was mir gar nicht recht bewußt war, weil sie so unterschiedlich ausfielen. Ich las seinen Namen immer wieder in der Kopfzeile – und dachte mir nichts dabei.
Besonderes Vergnügen bereitete mir „Firlefanz“ („Flagada“), eine Art sprechender Kürbis mit einem kleinen Propeller am Schwanz, der mit seinem Mitbewohner auf einer Insel lebte. (In einer Folge legt er sich ein Krokodil namens Schnappi zu – mit dieser Idee sind andere Leute später sehr reich geworden!) Es sind zumeist hartnäckige Charakterköpfe, die seine Abenteuer bevölkern, nicht selten kleinwüchsige.

Erst im Rückblick weiß ich zu bewundern, wie souverän der Meister sowohl dreizeilige schwarzweiße Taschenbuchseiten (Mini-récits) als auch vierfarbige Heftseiten gestaltete, kauzigen Minimalismus beherrschte und detailfreudige Panorama-Panels, dicke und feine Linien, Innenräume und Straßenzüge, Landschaften und Gebäude, realistisch gezeichnete Figuren und ulkige Knollennasen. Gerade die letztere Besonderheit ist hoch zu preisen: die meisten Künstler bringen gerade mal eine dieser beiden Disziplinen zu wahrer Meisterschaft.
In „Die Gifticks“, meinem Lieblingscomic von Deliège, passiert dies sogar einträchtig nebeneinander im selben Sujet. In „La menace des Krostons“ (1972), der Auferstehungsgeschichte um die drei niederträchtigen Kobolde aus dem Mittelalter, die zum Leben erwachen, sobald man sie von der historischen Vorlage abzeichnet, wurde der Künstler noch von seinem Verlag gezwungen, sich die Zeichenarbeit zu teilen. Er selbst sollte die drei Hauptfiguren (eindeutig sogenannte Funnies) übernehmen, während die „normalen Menschen“ von seinem Kollegen Arthur Piroton ausgeführt wurden. (Solches Mißtrauen schlug ihm von Seiten Charles Dupuis‘ öfter entgegen.) In der Fortsetzung „Les Krostons sortent de presse“ durfte Deliège endlich in Ruhe seine Arbeit machen, und die Ergebnisse waren weitaus befriedigender. Er hat aber auch als Szenarist für Kollegen gearbeitet – ein weiterer Beleg für seine Vielseitigkeit.

Vermutlich ist ihm genau diese zum Verhängnis geworden – wenn man es als solches bezeichnen will, dass vergleichbar fleißige und fähige Kollegen zu ungleich größerem Ruhm gelangt sind. Deliège war kein guter Selbstvermarkter. Er verhält sich zu Uderzo wie Laurel & Hardy zu Buster Keaton.
Deliège fand es durchaus einleuchtend, dass seine Giftzwerge nicht so beliebt wurden wie die „Schlümpfe“ seines Kollegen Peyo. „Die Schlümpfe bringen die Kinder zum Träumen, während die Gifticks ihnen eher Alpträume bereiten!“ sagte er kurz vor seinem Tod in einem Interview.
Tief in meinem Innern war ich wohl doch ein böses Kind.

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Eine Antwort zu Lauter kleine Individualisten

  1. Pingback: Die schönsten Comics, die ich kenne (11): „Die Gifticks“ - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

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