The Wrathy Ones

Diese Science-Fiction-Kurzgeschichte von Cadwiller Olden aus dem Jahre 1971 ist die Vorlage für den Comic „Die Wut der Scheusale“°

The Wrathy Ones

Delebeki.
Ich mochte ihn sehr, diesen besserwisserischen Angeber, aber das habe ich ihm niemals gesagt. Ich glaube, er hätte es nicht verstanden oder es zumindest nicht hören wollen. Wenn er in den Bordnächten seine Patrouillen machte, leistete ich ihm gern Gesellschaft.
Unsere Station machte dann immer den Eindruck völliger Leere und Verlassenheit.
Ich spazierte darin herum, und meistens fand ich Delebeki auf der wissenschaftlichen Kommandobrücke. Er stand stets versunken vor dem Hauptmonitor, dessen bläulich flackerndes Licht seine scharfen Gesichtszüge gut zur Geltung brachte, ohne deren Farbton zu verändern.
Wäre er ein Mensch gewesen, hätte ich ihn für sentimental halten müssen, denn er sah mit einer Andacht und Demut in die übertragene Unendlichkeit, als wäre er tatsächlich zu so etwas wie Andacht und Demut in der Lage gewesen.
Nie fragte er mich, was ich mitten in der Nacht dort zu suchen hatte, ob ich nicht schlafen könnte und warum nicht.
Ich konnte mich einfach neben ihn hinstellen, eine Weile mit ihm gemeinsam schweigen, und einer von uns beiden fing dann sicher nach ein paar Minuten ein hochinteressantes Gespräch an – ohne Präliminarien, ohne falsche Höflichkeiten oder Vorbehalte.
Es war ein Genuß.Meistens war unser Einstieg ein sprachliches Phänomen, eine semantische Feinheit.

„Das ist das Schiff der Invasoren, Doktor, die seit einigen Wochen in diesem Sonnensystem wüten“, erklärte er mir. „Sie haben Dutzende Zivilisationen ausgelöscht und steigern ihr Arbeitstempo immer weiter.“ Der Monitor zeigte ein zigarrenförmiges Raumschiff, um dessen Mitte eine Art senkrechter Saturn-Ring kreiste.
„Unsere Datenbanken weisen seine Passagiere als Krieger aus. Das ist kein sehr schmeichelhafter Ausdruck, aber ich halte ihn trotzdem für unpassend.“
„Inwiefern?“
„Weil nach meinem Verständnis Krieger eine Sache verfolgen, für die sie eintreten. Diese mag fehlgeleitet und abseitig sein, aber es handelt sich zumindest um eine Idee, der sich diese Kämpfer offiziell verbunden fühlen. Weil sie daran glauben oder weil sie daran verdienen.“
Dann machte er eine Pause.
Ich wusste noch nicht, worauf er hinauswollte, aber das würde noch kommen.
Inzwischen war ein Bild von einem Exemplar dieser Spezies erschienen. Es war ein ohne Größenvergleich etwas schmächtig wirkender Mann, der bis auf eine Art Windel unbekleidet war. Seine untere Gesichtshälfte war mit einem struppigen Pelz bedeckt, seine Stirn war gewaltig und von fingerdicken Adern überzogen.
„Das nennt man wohl einen Turmschädel“, sagte ich, um die Unterhaltung nicht versickern zu lassen.
„Das täuscht“, antwortete Delebeki. „Diese großen Köpfe sind tatsächlich vollkommen leer.“
“Eine neckische kleine Bosheit aus Ihrem Munde?“ fragte ich mit einem Schmunzeln, das er wie üblich nicht erwiderte. „Ich dachte, ich wäre der einzige, der in den Genuß Ihrer kleinen Sticheleien kommt!“
„Mein Ernst könnte nicht nötiger sein. Wenn diese Spezies ausgewachsen ist, ist ihr Schädel tatsächlich leer. In ausnahmslos allen Fällen, die wir haben untersuchen können.“
„Wenn sie ausgewachsen ist? Was war denn vorher drin in diesen häßlichen Kürbissen?“
Zum ersten Mal für heute kam es zwischen mir und ihm zu einem kurzen Blickkontakt.
„Diese Geschöpfe werden ohne Schädeldecke geboren“, erklärte Delebeki. „Durch diese Öffnung können sie jederzeit ihr Hirn auskippen, wenn ihnen im Laufe ihrer Jugend Zweifel am Sinn und Zweck des Nachdenkens kommen. Ich vermute, das können Sie ganz gut nachvollziehen, Sie als Mensch.“
Ich schwieg zustimmend.
„Im Kindesalter ist diese Gattung von einem Idealismus, den Sie vermutlich als goldig bezeichnen würden. Aber in den Jahren der Geschlechtsreife verlieren die Männchen den Mut und senken die Köpfe. Die Schwerkraft tut dann ein Übriges. Es ist ein bewußter Vorgang, eine freie Entscheidung.“
„Ist es Zufall, dass Sie bisher nur von den Männchen geredet haben?“
„Keineswegs. Die Weibchen behalten die Köpfe oben – keine Ahnung, wie sie das durchhalten.“
Nun hatte mich Delebeki wieder da, wo er mich gerne haben wollte. Er hatte mir genau so viel erzählt, dass ich den Rest auch noch wissen wollte – unabhängig von meinem medizinischen Schwerpunkt.
„Wenn sie Krieg führen und zivilisierte Planeten verwüsten, müssen sie nicht die Schlauesten sein“, wandte ich ein. „Aber sie müssen doch zumindest ein bißchen … nachdenken können.“
„Das tun sie auch. Nach der Stulp denken sie allerdings nur noch mit ihren mikroskopisch kleinen Reproduktionsorganen.“
Ich zog unwillkürlich den Kopf ein. „Jetzt auch noch kleine Pimmel? Huiuiui, denen bleibt auch nichts erspart! Was sagen denn die Weibchen dazu?“
„Nichts. Auf ihrem Planeten herrscht seit Äonen ein Matriarchat. Es kam seither zu keinem Geschlechtsakt mehr. Jedes Männchen ist verpflichtet, seinen Samen an seinem 18. Geburtstag zu spenden, was im Rahmen einer recht schmerzhaften Prozedur geschieht. Die künstliche Befruchtung der Weibchen ist erheblich weniger unangenehm. Die Weibchen haben darüber hinaus die Möglichkeit, sich untereinander zu befriedigen.“
„Hmmm – und die Männchen nicht?“
„Das könnten sie theoretisch versuchen, aber ihre Religion verbietet es ihnen.“ – Delebeki deutete ein Achselzucken an. „Die Kerlchen haben einfach Pech gehabt. Die Natur kennt viele solcher Beispiele.“
„Moment mal – was denn für eine Religion?“
Der Monitor wechselte erneut das Motiv.
„Diese Lehre nennt man den ‚Kosmurk‘. Sie fußt auf der ‚Znigufzkischen Raum-Ordnung‘, einer uralten Sammlung von Verboten aus 150 Sonnensystemen.“
„Donnerwetter! Das ist ja mal ein Wälzer! Auf der Erde hat man schon vor Jahrhunderten geglaubt, dieses Medium würde aussterben. … Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass diese Hirnverweigerer die Schwarte tatsächlich komplett durchgelesen haben.“
„Selbstverständlich nicht. Kein Wort!“
Wieder sah er mich an, aber meinen Gesichtsausdruck hatte er schon erwartet.
„Ich habe mich ein wenig mit der Geschichte Ihres Heimatplaneten auseinandergesetzt, Doktor. Es ist keine Seltenheit, dass die Jünger einer Glaubensrichtung ihre eigene Heilige Schrift nicht kennen. Das Ganze ist mehr eine Verpackungsfrage, eine Sache der P.R., verstehen Sie?“
„Soso. Das meinten Sie also mit der Idee, die diese Krieger nicht haben, Sie alter Schlaumeier!“
„Sie selbst sind natürlich anderer Meinung“, fügte Delebeki rasch hinzu. „Sie betrachten sich als Missionare!“ Mit diesem Ausdruck hatte er offensichtlich keine Schwierigkeiten.
„Die Bekehrung ungläubiger Lebensformen ist das einzige, was diesen Geschöpfen zumindest die flüchtige Illusion von Potenz ermöglicht.“
Auf dem Monitor wurden nun die Invasoren bei der Arbeit gezeigt. In ihren zweifingrigen Händen hielten sie Strahlenpistolen, von denen sie emsig Gebrauch machten.
„Das ist ja ekelhaft! Schalten Sie das weg!“
Delebeki tat mir den Gefallen – mit einem fast unhörbaren, etwas verächtlichen Laut. Die Fläche vor uns zeigte nun wieder den eisigen Frieden der uns umgebenden Unendlichkeit.
„Bekehrung ist nur ein anderer Ausdruck für Annihilation“, räumte Delebeki ein. „Sollte diese sich technisch oder operativ nicht durchführen lassen, z.B. weil die Eingeborenen einer Welt durch ihre robuste Verfassung oder durch ihre schiere Größe nicht bereit sind, sich einfach …“
„… abschlachten zu lassen …“ ergänzte ich.
„Vielen Dank, Doktor. In solchen Fällen erlaubt ihr untrüglicher Instinkt den Missionaren, ermöglicht ihnen ihr Glaube …“
„… Sie meinen den, der in ihren mickrigen …“
„… ermöglicht ihnen ihr Glaube, einzuschätzen, wann eine Welt der Bekehrung nicht bedarf, und sie verlassen sie unverrichteter Dinge, um ihre Suche fortzusetzen.“
Delebeki schaltete den Monitor aus und setzte sich langsam in Richtung Ausgang in Bewegung. Er nahm seinen Rundgang wieder auf.
Ich begleitete ihn.
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier irgendjemand eingreifen sollte!“ meinte ich, als wir durch die trübe beleuchteten Korridore schritten.
„Auf Ihre romantische Ader ist doch wirklich Verlaß, lieber Doktor. Selbst wenn es jemanden gäbe, der dazu in der Lage wäre – er müßte einsehen, dass es die Mühe nicht lohnt, sich hier einzumischen. Dieses System hat keine Überlebenschance. Früher oder später werden sich diese Wesen selbst zugrunde richten.“
„Na, gottseidank! Und wann werden Sie das tun?“
„Sobald keine zivilisierten Welten mehr übrig sind, die sie noch zerstören könnten.“
„Finden Sie das nicht ein bisschen spät?“
Delebeki blieb einen Augenblick stehen.
„Solche Dinge sind häßlich, aber unvermeidbar … solange es Männchen mit kleinen Pimmeln gibt.“

Übersetzt von Monty Arnold
° Blog vom 20.1.2015

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