An der Oberfläche

betr.: 100. Geburtstag von „Birth Of A Nation“

Wer sich heute die Slapstick-Filme der 20er Jahre anschaut, staunt möglicherweise über die ungeheure Frechheit, die da gepflegt wurde. In jenen Tagen durfte man sich buchstäblich noch über alles und jeden lustig machen, wodurch der Verdacht einer gezielten Diskriminierung gar nicht erst aufkam: über Schwarze, Asiaten und Juden, Frauen, Kinder und Homosexuelle, Geistliche und Polizisten, Einbeinige, Blinde und Bucklige, Neureiche und Landstreicher.
Ich durfte diese derben und zugleich sehr poetischen Sahnetorten-Filme noch im linearen Fernsehprogramm erleben, unterlegt mit der Musik von Fred Strittmatter und der Solo-Synchronfassung von Hanns Dieter Hüsch. Besonderes Vergnügen bereitete mir Stan Laurel (noch ohne Hardy), wenn er regelmäßig in Parodien auf die Filmklassiker der damaligen Zeit raue Gesellen zu Tunten ummodelte.
Ein knappes Jahrhundert später mögen manche dieser Späße in einen tragischeren Kontext gerückt sein. Vieles ist aber auch einfach nur verboten (und deshalb nicht weniger komisch als damals). Der Begriff Political Correctness ist zwar mittlerweile offiziell ein Schimpfwort, aber das ändert nichts an der verheerenden Auswirkung der damit umschriebenen Gesinnungshuberei auf unser gesellschaftliches Miteinander, unsere Kreativität, die Medien und unsere Unterhaltungsindustrie.

Ein Beispiel, das mir heute wieder durch den Kopf geht – am rundestmöglichen Jahrestag eines anderen Stummfilms, des rassistischen Filmklassikers „Birth Of A Nation“, der nichtsdestotrotz zu den unbestrittenen Meisterwerken des Kinos und zum Urschlamm der Filmkunst an sich gerechnet wird – ist eine Posse, die sich vor wenigen Jahren in Berlin ereignete.
Im „Schloßparktheater“ trat der Schauspieler Joachim Bliese schwarz geschminkt in „Ich bin nicht Rappaport“ auf und war auch in dieser Aufmachung plakatiert. Es gab einen tagelangen Skandal angesichts der Tatsache, dass hier die schmachvolle Unkunst des „Blackface“ wieder aufgenommen worden sei. Gewiß: die im 18. Jahrhundert aufgekommene Minstrel-Tradition, in der weiße Entertainer sich mit Schuhwichse als Schwarze zurechtmachten, verweist auf wahrhaft finstere gesellschaftliche Missstände. Diese  Theaterfiguren wurden „Jim Crow“ genannt. Mit diesem Ausdruck bezeichnete man auch das System von Gesetzen und Vorschriften, die nach der Abschaffung der Sklaverei die Rassentrennung „regelten“. Doch weder waren alle, die sich in ihren Darbietungen schwarz schminkten, automatisch Rassisten, noch sind diese Missstände geringer worden, als Ende der 20er Jahre die Minstrel-Shows verschwanden.
Der berühmteste Vertreter der Blackface-Tradition, Al Jolson, ist ebensowenig ein Sklaventreiber, wie Rob Marshall ein Bürgerrechtler ist, nur weil er in seinem Filmerfolg „Chicago“ aus dem Jahre 2002 so tut, als hätten sich in den Wilden Zwanzigern schwarze Gentlemen ungehindert mit weißen Ladies im Arm in einen Nachtclub setzen dürfen.
Und wer gegen einen schwarz geschminkten Schauspieler (in einer des Rassismus unverdächtigen Produktion) auf die Straße geht, ist vielleicht nicht unglücklich darüber, dass es heute zuweilen so preisgünstig ist, seine ehrenhafte Gesinnung auszustellen.

Wenn nicht gerade Zensur herrschte, bestand die Freiheit des Theaters gerade darin, dass jeder alles spielen durfte. Nach jahrelangen Kämpfen um Relevanz und ein nachwachsendes Publikum findet es sich nun in einer Ordnung wieder, in der Schwarze nur noch von Schwarzen gespielt werden dürfen und Außerirdische nur noch von Außerirdischen. Wer keinen Ärger mit den offiziellen Wettbewerbern um den größten Opferstatus haben will, führt am besten nur noch Stücke über möglichst unauffällige Figuren auf. Das Ergebnis dieser vorauseilenden Korrektheit wäre eine besonders üble Form der Diskriminierung.

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