Der Fluch der Vielseitigkeit

betr.: 85. Geburtstag von André Previn

Im Gewühl des Hamburger Gänsemarktes entdeckte ich einmal einen weltweit gefeierten Konzertdirigenten, der in Begleitung zweier Kinder eben das (heute nicht mehr existierende) UFA-Kino betrat. Er war zu weit weg und zu schnell im Kino verschwunden – dennoch bereue ich bis heute, dass ich nicht trotzdem hinübergerannt bin, um – geschüttelt von großer Verlegenheit – „danke“ zu sagen. Erst etwas später fiel mir ein, was ich hätte sagen / pfeifen können: das Intro zu seinem Gene-Kelly-Song „I Like Myself“ … was man halt so tut, wenn die Ereignisse viel zu groß sind für einen Augenblick.
Obwohl immerhin Quincy Jones und Paul McCartney noch unter uns sind, hielt und halte ich André Previn für das größte lebende Musikgenie, und mit Genie meine ich die unbescheidene Mischung aus Komponist, Arrangeur und Interpret und seine große stilistische Bandbreite – in diesem Falle kommt noch eine Tätigkeit als Pädagoge hinzu.
Seine Erfolge haben ihn zu einem Jet-Setter gemacht. „Man ist kaum lange genug an einem Ort, um seine Wäsche gewaschen zu bekommen“, pflegt er jenen seiner Studenten zu sagen, die im Beruf des reisenden Pianisten und Dirigenten vor allem den Glamour erblicken.

Der in Berlin geborene Previn wird für seine Vielseitigkeit durchaus nicht von allen bewundert: „Zu Beginn meiner Dirigentenlaufbahn haben es sich die Kritiker leicht gemacht. Sie sagten: Sie haben Jazz gespielt, waren Arrangeur und haben beim Film gearbeitet – drei Dinge, die man nicht tut! Vor allem mit der Filmmusik handelt man sich den Ruf einer stadtbekannten Hure ein.“ Diese Bewertung seiner Arbeit hat erst nachgelassen, als seine früheren Leistungen in Vergessenheit gerieten.
Previn hatte das Glück, bei MGM sein Kompositionsstudium zu absolvieren, dem einzigen Repertoire-Studio Hollywoods. Er hatte dort nicht nur sinfonische Filmmusik unterschiedlichen Temperaments – seine erste für einen „Lassie“-Film – sondern auch Songs zu komponieren, später sogar Musicals. Er arrangierte für Chor und Orchester, und er lernte, all dies auch unter Zeitdruck zu tun. Nebenbei konnte er Großmeistern wie Miklós Rózsa, Bronislaw Kaper und Johnny Green über die Schulter schauen. Für seine Film-Bearbeitung der „My Fair Lady“ bekam er einen Oscar und widmete dem Werk noch eine freiere Umsetzung: für das Trioalbum mit den Themen des Musicals (mit Shelly Manne und Leroy Vinnegar) erhielt Previn 1956 die erste Goldene Schallplatte der Jazzgeschichte.
Als Pianist wird er als Meister des „West Coast Jazz“ geschätzt.

Seiner Nähe zur Leichten Muse zum Trotz setzte er sich als Chefdirigent von London Symphony bis Los Angeles Philharmonic durch – nicht ohne sich immer wieder mit dem jeweiligen Management in die Haare zu kriegen.
Und um auch die Leser des Gesellschaftsteils nicht zu vernachlässigen: André Previn war mit der Schauspielerin Mia Farrow und der Geigerin Anne-Sophie Mutter verheiratet.

Previn-Streetcar2

1998 komponierte er als Auftragsarbeit eine Opernfassung von „Endstation Sehnsucht“. Dabei erwies sich – wie so oft – seine Jugend beim Film als ideale Vorbereitung. Previn erinnert sich: „Im Finale, das ja bekanntlich sehr düster und berührend ist, machte die Drehbühne das Geräusch einer Kaffeemühle – einer besonders großen und lauten Kaffemühle. Man würde das Knirschen gar nicht hören, wenn sie sich in dieser Szene langsamer bewegen könnte. Ich mußte also während der Proben zwölf Takte für die letzte Szene dazukomponieren und orchestrieren. Mit meiner Erfahrung ist das nicht so schwierig – und außerdem macht es einen Riesenspaß. Aber die Zweifel am Wert dessen, was ich komponiert habe, hören auch nicht auf. Wieder so ein Andenken an Hollywood.“

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