Kurze Sittengeschichte des Taubenvergiftens

betr.: 87 Geburtstag von Tom Lehrer

Es gibt einige auch für den Laien nachvollziehbare Gründe, warum auftretende Künstler ihre(n) größten Hit(s) nicht mögen. Sie haben sich vielleicht einfach zu oft selber dabei zuhören müssen, haben unter Umständen vieles andere deswegen gar nicht machen dürfen. Oder sie wissen ganz einfach nicht, wie gut es ihnen geht; auch so etwas hat jeder schon mal erlebt.
Dass Georg Kreisler sein berühmtestes Lied „Taubenvergiften“ weniger schätzte als viele seiner übrigen, ist bekannt, aber er brachte es trotzdem wacker und zuverlässig als frühe Zugabe.
Immer wieder wurde ihm vorgeworfen, das Lied gestohlen zu haben. Das Original soll „Poisoning Pigeons In The Park“ von Tom Lehrer gewesen sein. Um diesen Vorwurf hat sich besonders der Fachbuchautor Klaus Budzinski verdient gemacht. In der 1982 erschienenen Neuausgabe seines Standardwerks zur Geschichte des Kabaretts, (neuer) Titel: „Pfeffer ins Getriebe“, schreibt er Kreislers Künstlerbiografie um und macht aus dem amerikanischen Sänger, Liedermacher, Satiriker und Mathematiker Tom Lehrer dessen Lehrer. Einen Hinweis darauf, dass die beiden einander je begegnet sind, gibt es allerdings nicht.

Dass deutschsprachige Texte / Lieder / Ideen etwas später kamen als ihre ggf. existierenden englischsprachigen Zwillinge, ist nach Kriegsende durchaus häufiger vorgekommen.
Georg Kreisler hatte allerdings gute Argumente gegen den Plagiatsvorwurf.
Lehrers Song „Poisoning Pigeons In The Park“ erschien 1959 auf der Langspielplatte „An Evening With Tom Lehrer“ – drei Jahre nachdem Kreisler sein Chanson öffentlich uraufgeführt und auf Platte veröffentlicht hatte. Außerdem wies er daraufhin, dass das Thema Taubenplage in den 50er Jahren in Großstädten wie New York und Wien nicht nur allgegenwärtig war, es wurde sogar in den Medien diskutiert, da sich Lokalpolitiker und Tierschützer darüber stritten.
Der Vorwurf hielt sich dennoch hartnäckig, und es war nicht der einzige öffentlich ausgetragene Konflikt, der Georg Kreisler über längere Zeit immer wieder beschäftigt hat.

Wie kam nun Klaus Budzinski – dem diese Details als Fachmann ja mindestens nachträglich eingeleuchtet haben müssen – also dazu, so zu stänkern?
Einiges spricht dafür, dass Budzinski nicht nur ein Kabarett-Spezialist sondern (vereinzelt) auch ein Kabarettisten-Hasser war. In den 60er Jahren bemängelte er, Hanns Dieter Hüsch habe seine poetische Kraft einem „bourgeoisen Verniedlichungstrend“ geopfert – soweit, so gut. Als Kenner muß man sowas ja kritisieren dürfen. Leider ließ es Budzinski damit nicht bewenden und organisierte 1968 auf dem Folklore-Festival auf der Burg Waldeck Hüschs Verjagung von der Bühne mit Trillerpfeifen und konzertiertem Gebrüll, woraufhin der Künstler für einige Zeit nur noch in der Schweiz bzw. im Fernsehen auftrat, quasi auf der Flucht vor dem eigenen politischen Lager.

Beide, Kreisler und Hüsch, haben gewissermaßen moralisch gesiegt, denn sie gehören zu den langlebigsten Vertretern der Kleinkunst überhaupt.
Und radikale 68er sind manchmal fast so eindringlich wie Tauben in der Großstadt.

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