Der heilige Georg und der Drache

betr.: Georgstag (seit 1222) / Stadtteilkunde St. Georg

Jedes Volk hat seine eigene Drachen-Mythologie. Ihr Ursprung ist ungewiß, aber im 20. Jahrhundert wurde kurzzeitig darüber nachgedacht, dass vereinzelte Funde von Saurierknochen den Glauben an diese Wesen angeregt haben könnten.

Der in England besonders gefeierte Drachentöter St. George stammt gar nicht aus Großbritannien sondern aus dem Orient. Heimgekehrte englische Kreuzritter haben seine Legende aus dem Gelobten Land mitgebracht.
Georg kam in Kleinasien zur Welt – sein Geburtstag ist unbekannt, immerhin vermutet man als Todesjahr 305. Als blutjunger Ritter reiste er nach Silene in Libyen, um sich taufen zu lassen. Dort wurde ein Held gerade dringend gebraucht: ein See unweit der Stadt war mit einem Drachen verseucht, der jede Nacht herauskam, die Stadtmauer überwand und sich unter den schlafenden Bewohnern ein Opfer suchte: er erstickte es mit seinem Pest-Atem und fraß es an Ort und Stelle. Vorübergehend hatte sich das Untier mit Schafen zufriedengegeben, die man ihm ans Ufer gebracht hatte, doch die waren bald aufgebraucht.
Um wenigstens dem größten Teil der Bevölkerung einen ruhigen Schlaf zu ermöglichen, wurde nun täglich ein Unseliger ausgelost, der dem Drachen geopfert werden konnte.
Eines Tages traf es die Tochter des Königs, Prinzessin Saba. Prächtig herausgeputzt erwartete sie nun vor der Stadtmauer ihr Ende.
Der ahnungslose Georg kam vorbeigeritten und ließ sich die ganze schreckliche Geschichte von der weinenden Maid erklären. Wie sich das für einen frischgebackenen Christen gehörte, sprach er die Worte: „Fürchtet euch nicht!“ und gelobte, das Biest „im Namen Christi“ zur Strecke zu bringen.
Kurz darauf begann der See zu rauschen und Blasen zu werfen. Georg ritt hinüber und sah den Drachen aus dem Wasser steigen. Sein Visier schützte ihn vor dem giftigen Atem, und so konnte er ihn mit seiner Lanze aufspießen. Der verwundete Drache peitschte mit dem Schwanz, war aber so mitgenommen, dass ihn Georg niederhalten und ihn die Prinzessin auf sein Geheiß mit ihrem edelsteinbesetzten Gürtel fesseln konnte. Sogleich wurde der Drache zahm, ließ sich in die Stadt mitnehmen, und die Geschichte hätte ein märchenhaftes Ende nehmen können, doch Georg entschied sich für die harte Tour: er köpfte seine Beute vor den Augen der verschreckten Silener und wurde so zum Mythos.

Georg hatte aber auch ein ungewöhnlich bösartiges Exemplar abbekommen, denn im Orient hatten Drachen üblicherweise gar keinen schlechten Ruf.
Das um 1600 erschienene chinesische Lexikon „Pan Tsao Kang Mu“ beschreibt diese Tiere nicht nur äußerlich sehr genau („… das größte Schuppentier. Es besitzt einen Kamelkopf, Stierohren, einen Schlangenhals, einen Froschbauch, Krallen und Tigerpranken. …“), es wies ihren Schuppen glückbringende Kräfte zu, ließ sie friedlich und weise sein, den Lauf der Welt lenken und jene Schätze bewachen, an denen sich der Mensch ohnehin nicht zu vergreifen hatte. Der asiatische Drache versinnbildlichte die Mächte der Natur und insbesondere des Wassers.
Ganz anders im Abendland: hier war der Drache nicht nur boshaft und geizig, er war ganz allgemein der Todfeind des Menschen. Auch seine Optik war nicht eben ansprechend: ein warziger, schwerfälliger, krallenbewehrter Lindwurm mit senkrecht (!) stehenden Flügeln, in Höhlen oder öden Heidelandschaften beheimatet, die er gelegentlich verließ, um eine menschliche Siedlung in Flammen aufgehen zu lassen.

Der Sprachgebrauch rundete das Feindbild ab: Die Wikinger, bekanntlich rohe, brandschatzende Gesellen, schmückten den Bug ihrer Schiffe mit Drachenköpfen, bewaffnete Reiter und unangenehme ältere Damen wurden „Dragoner“ genannt.
Die Hansestadt Hamburg wiederum benannte ihren hippesten und angesagtesten Stadtteil ausgerechnet nach jenem Märtyrer, der zum schlechten Ruf der Drachen in der westlichen Welt so erheblich beigetragen hat.
Eine verfahrene Situation!
1975 endlich brachten die Italiener eine Zeichentrickserie heraus, in der das schottische Drachenkind Grisu seinen Vater mit einer völlig unanständigen Idee verstört: der Kleine möchte später Feuerwehrmann werden – den passenden Helm dazu hat er schon.
Das war der Wendepunkt! Seither hat eine behutsame Rehabilitierung der berüchtigten Fabelwesen eingesetzt.

Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft, Hommage, Literatur abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert