„In der Reihenfolge ihres Auftretens“ (2/3) – Lichtgestalt mit Fettspritzern

betr.: 20. Jahrestag der „Boulevard Bio“-Sendung zum Thema „Talk Talk“ / Medienstandort Köln, 90er Jahre

Meine Verehrung für die anderen beiden Großmeister unserer heimischen Mediengeschichte – Rudi Carrell und Marcel Reich-Ranicki° – speist sich aus der Bewunderung eines Lebenswerkes, das ich nur am Bildschirm kennenlernen durfte. Alfred Biolek hingegen war für mich eine Figur aus dem wirklichen Leben.
In den 90er Jahren war die Stadt rund um den Kölner Dom ein regelrechter Sehnsuchtsort für Komiker und Kabarettisten einerseits, für Schwule andererseits, drittens für Fernsehschaffende – auch für mich als Mutation aus alledem. Das Privatfernsehen hatte in den knapp zehn Jahren seines Bestehens Fahrt aufgenommen, vor allem RTLplus (heute RTL Television). Der seit je in Köln residierende altehrwürdige WDR verband sich mit der „RTL-Familie“ und Sendern wie VOX in unserer Wahrnehmung zu einer Medienhochburg. Medien sind nichts ohne schwule Talente*, und Köln legt großen Wert darauf „der geilste Arsch der Welt“ zu sein, ein Ort also, an dem die Liebhaber des gleichstarken Geschlechts es kuschelig haben. Dieser paradiesische Zustand hielt sich weitere knapp zehn Jahre – bis der wiedervereinigte deutsche Zentralismus griff und Berlin die rheinische Metropole in die Provinz zurückschubste.

Der gütig mümmelnde Monarch über dieses märchenhafte Mediotop war der gelernte Jurist Dr. Alfred Biolek, dessen Beitrag zum Programm der ARD über die Jahre so lebendig und prägend war, dass man ihn instinktiv für den Programmdirektor hätte halten können – den der ARD und den Kölns. In der großen aber übersichtlichen Kölner Schwulenszene traf man immerzu auf Leute, die Bio kennen oder gar für ihn gearbeitet haben wollten. Unlängst war er von Rosa von Praunheim (auf RTL) geoutet worden, und hatte das wirklich souverän pariert – im Gegensatz zu Hape Kerkeling, der sich zunächst in ironisierende Leugnung flüchtete.

Ich hatte als Kabarettist in jenen Tagen viel in Köln zu tun. Bis heute habe ich in keiner Stadt so häufig und regelmäßig „en suite“ gespielt wie in der Kölner „Filmdose“. Ich konnte beständig die Gastlichkeit eines befreundeten Kollegen in Anspruch nehmen, trat hie und da im Fernsehen auf und unterhielt einen großen, bunten Freundes-, Bekannten.- und Kollegenkreis.
1993 war ich in diesem Zusammenhang Alfred Bioleks Talkshow „Boulevard Bio“ zu Gast. Was den Moderator an diesem Abend umtrieb, war die „Comedy-Welle“, jener aktuelle Trend, in dem das Reden ohne Kostüm und Musik über Männer und Frauen zum festen Format innerhalb des TV-Programmschemas aufstieg. (Noch Jahre später wurde ich immer wieder im Dialog mit Journalisten nach diesem „Boom“ gefragt, als wir es längst mit einer festen Programmfarbe zu tun hatten.) Ich repräsentierte in der Gesprächsrunde das aufstrebende Talent, Helge Schneider den über allem schwebenden Außerirdischen, Jürgen von der Lippe den verschmitzten Allrounder und Fips Asmussen den leck geschlagenen Zotenautomaten.
Köln wurde in jener Zeit (und wird vermutlich noch immer) von seinen Bewohnern nicht nur als Nabel der Welt aufgefaßt sondern als kompletter Planet, der den Rest – Düsseldorf ist nur der Anfang – allenfalls als Absatzmarkt für seine Medienerzeugnisse braucht. (Wenn Sie zu den wenigen gehören sollten, die James Joyce tatsächlich gelesen haben, dann haben Sie dieses Prinzip schon am Beispiel von Dublin kennengelernt – in beiden Modellen spielen Kneipenbesuche eine große Rolle …)

Die Zeit verging.
Alfred Biolek veranschiedete sich vom Bildschirm, und Köln wurde für den Rest der Republik wieder zu einer Metropole wie andere auch.
Bereits in den 90ern – „Boulevard Bio“ stand noch in voller Blüte – hatte sich der Moderator sagen lassen, eine Kochsendung sei doch für ihn, der selbst so leidenschaftlich für andere koche, die natürliche Fortsetzung seines Lebens- und Dienstweges. Das könne er doch mit links, quasi nebenbei!
Bio ließ sich seinen privaten sechsflammigen Herd im Studio nachbauen, nahm die mannshohe schwarze Pfeffermühle mit, die ihm Hella von Sinnen einmal als Gastgeschenk vorbeigebracht hatte, und startete „Alfredissimo“. Dieses Format, in dem mit prominentem Beistand gekocht, nebenher über Gott und die Welt gefaselt, literweise Rotwein gepichelt und das Zubereitete schließlich auch öffentlich angenagt wurde, war ein Sensationserfolg, der keinerlei redaktionelle Mühen mehr verursachte.
Ge-ni-al!
Zudem brachte es Bio über das Merchandising einen Haufen Geld ein.
Es führte aber auch zu zwei betrüblichen Fußnoten. Erstens wurde das Konzept im Handumdrehen senderübergreifend kopiert, und eine Flutwelle totenpupsiger, knotendröger verlaberter Telebrutzeleien überwucherte das ohnehin recht trostlose TV-Programm wie ein erstickender Invasiv-Organismus. Aber schlimmer noch: der verdiente Bildschirm-Magier Alfred Biolek, der volkstümliche Weltbürger und Bonvivant, der Popstar des Medienbetriebs, der bei allem trefflichen Instinkt stets ein authentisch liebenswerter Kauz geblieben war, eine wirkliche Persönlichkeit unter grinsenden Suppenkaspern, ein kultivierter Monsieur voll Charme und Herzensgüte beendete eine der schillerndsten und reichsten Karrieren der deutschen Unterhaltungsgeschichte mit einer Sendung, die den Nährwert einer leeren Konservenbüchse aus dem „Alfredissimo“-Studiomüll hatte.

 

° siehe Blogs vom 12. und 18. September 2014
* Vladimir Horowitz sagte etwas, was auch hier mitunter zutrifft: „Es gibt nur drei Sorten von Pianisten: jüdische Pianisten, schwule Pianisten und schlechte Pianisten!“

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