Bitte nicht hassen!

betr.: 121. Geburtstag von Dimitri Tiomkin

Ausgerechnet der Russe Dimitri Tiomkin war der wichtigste Western-Filmmusiker der USA, und das in der Blütezeit dieses nationalheiligen Genres.
Er hatte in Europa Ballettmusik komponiert und als Konzertpianist gearbeitet – wo er George Gershwins Musik auf Tournee dem Publikum nahebrachte und dessen „Concerto in F“ uraufführte – ehe er mit seiner Frau, der Tänzerin Albertina Rasch, nach Amerika auswanderte. Zunächst arbeitete er für Frank Capra, einen der wichtigsten Komödienregisseure des frühen Tonfilms. Komödie bedeutet nicht, Tiomkin hätte nicht von Anfang an sehr vielseitig sein müssen – aber das ist kaum der Rede wert; es wurde im Studiosystem von jedem komponierenden Lohnsklaven erwartet. Gleich Tiomkins erste Musik für Capra war ein Fantasy-Abenteuer, das in Shangri-La spielt.

Capra schildert Dimitri Tiomkin als humorvollen, herzensguten Freund und seelenvollen Bilderbuch-Russen, aber bei vielen seiner Komponistenkollegen dürfte er sich unbeliebt gemacht haben. Schließlich löste er einen Trend aus, dem sich auch jene unterordnen mußten, die dazu nicht die Neigung mitbrachten: den Filmsong.
Ned Washington hatte Tiomkins Liebesthema aus „High Noon“ („12 Uhr mittags“) mit einem Text versehen. So wurde „Do Not Forsake Me, Oh, My Darling“ zur Single zum Film. Sie war ein Hit, der dem Studio nicht nur zusätzliches Geld einspielte, sondern auch noch gratis für den dazugehörigen Western warb. In den Augen des Publikums waren es freilich die Sänger Tex Ritter, Frankie Laine, Bruce Low, die diesen Hit landeten. Aber Tiomkin war der der Star für all die Produzenten, die sich nun einen Chart-Erfolg wünschten – und zwar nicht nur für Komödien und Musicals, in denen naturgemäß gesungen wurde, sondern auch für Abenteuerfilme / Krimis / Melodramen / Science Fiction. Diese Ballade konnte unter dem Vorspann erklingen oder in jener Nachtclubszene, die bekanntlich in keinem guten Film fehlen darf.

Tiomkin
Der junge Tiomkin verabredet sich mit George Gershwin für die Pariser Oper,
der reife posiert auf dem seinerzeit obligatorischen Stopp-Uhren-Foto.

Dimitri Tiomkin gab mächtig damit an, dass er in der Lage war, seine Werke selbst mit einer solchen Ballade zu krönen: in dem Edelwestern „Rio Bravo“ gibt es nicht nur einen Titelsong und das eingängige Todesmotiv „De Guella“, außerdem singen die Cowboys Dean Martin und Ricky Nelson in einer Kampfpause „My Rifle, My Pony And Me“° – noch’n Hit.
Tiomkins Autobiografie trägt den bezeichnenden Titel „Please, Don’t Hate Me“.

Jene spätromantischen Filmmusiker, die keine Popsongs schreiben konnten oder wollten, mussten die Unterstützung von hinzugebetenen Musical-Komponisten erdulden.°° Das Songschreiber-Team Livingston & Evans spezialisierte sich auf dieses Gebiet, Texter wie Sammy Cahn, Paul Francis Webster und Johnny Mercer wurden zu berufsmäßigen Hollywood-Textern.
Aber auch die Karrieren entsprechend veranlagter junger Soundtrack-Komponisten wurden gefördert, besonders die von Henry Mancini. Burt Bacharach hat Mr. Tiomkin viel zu verdanken, ebenso die James-Bond-Serie mit ihrem Hauskomponisten John Barry, die diese Tradition bis heute pflegt.*

Aber zurück zu Dimitri Tiomkin, dessen Schlagerqualitäten nicht darüber hinwegtäuschen sollen, wie unkonventionell und verwegen sich seine eigentliche Arbeit anhörte: die szenische Filmmusik, das sogenannte Underscoring. Seine quecksilbrigen Arrangements illustrieren die psychischen Abgründe von Vamps, Außerirdischen, römischen Feldherren, Nazis und Hitchcock-Psychopathen oder setzen humoristische Akzente, und sie legen sich in ihrer Lebendigkeit immer wieder auf verblüffend stimmige Weise auf die friedvolle Majestät der nordamerikanischen Landschaften.
Die Spitzfindigkeit seiner Partituren ist unerreicht. In der Trickfilmmusik „Rhapsody Of Steel“ brauchte ich Monate, bis ich endlich das Thema herausgehört habe – was mich nicht dran hinderte, dieses Werk vom ersten Augenblick an zu lieben.
The High And The Mighty
John Waynes wichtigste Zeile in „The High And The Mighty“

Als Dimitri Tiomkin 1954 den Oscar für „The High And The Mighty“ bekam, in dem John Wayne als heldenhafter Pilot den aktuellen Tune sogar im Cockpit pfeift, bedankte sich der Komponist nicht nur bei den üblichen leibhaftigen Unterstützern sondern auch bei Beethoven, Brahms und Wagner für ihre Hilfe. Mindestens Wagner hätte ihn auch nicht ausstehen können, diesen höchstbezahlten Popstar mit seinen herrlich volkstümlichen Ohrwürmern.
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* Wer seine Sache besonders gut machte, konnte für Filmscore und Titelsong gleich zwei Oscars mit nach Hause nehmen, so Henry Mancini für „Breakfast At Tiffany’s“ und John Barry für „Born Free“ – und zuallererst Dimitri Tiomkin für „High Noon“.
° auch bekannt als langjähriges Logo-Jingle der ARD, siehe Blog vom 16.9.2014
°° Bernard Herrmann war so gefragt und rauflustig, dass er sich häufig davor bewahren konnte – siehe Blog vom 24.12.2014.

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