Im Funkloch der göttlichen Eingebung …

… oder: Wer probt, kann nicht

betr.: 94. Geburtstag von Erroll Garner / Improvisation

Ich gebe es offen zu: ich habe keine hohe Meinung von Kollegen, die zu mir sagen: „Da muß ich nichts vorbereiten, da improvisiere ich einfach was! Wirst schon sehen!“ Meistens wird dazu verschwörerisch genickt. (Ich rede hier ausdrücklich nicht von Erroll Garner, Oscar Peterson oder Louis Armstrong, sondern von Männern und Frauen des gesprochenen Wortes.)
Ich mißtraue ihnen weil ich denke, eine gute Vorbereitung sei doch letztlich durch nichts zu ersetzen. Gute Vorbereitung muß ja nicht in blindwütigem Auswendiglernen bestehen, und manches kann man vorher auch gar nicht wissen.
Aber die Vorbereitung in dem Glauben wegzulassen, es würde einem „dann schon was Tolles einfallen“, finde ich – gelinde gesagt – reichlich tollkühn.
Nicht alle sind so verdammt talentiert, wie es hier guttäte.
Viele Kollegen erinnern mich dann an den berühmten Scheinwerfer, der plötzlich runterfällt. „Ist mir auch schon passiert! Da muß man aber spontan was auf der Platte haben!“
Da schon! Ganz meine Meinung …
Aber was, wenn mal nichts Plötzliches passiert?
Ich habe es im Laufe der Jahre immer wieder mit selbsternannten Großmeistern der ungemachten Hausaufgabe zu tun bekommen, und sie alle haben stets zu meiner Skepsis beigetragen.
Einer sagte am denkwürdigen Gründungsabend des „Quatsch Comedy Clubs“ zum Chef: „Ich setz‘ mich kurz mit der BILD-Zeitung hin und kommentiere die Schlagzeilen. Das ist der Brüller!“
Es war das Gegenteil davon.

Freilich: auch in den Zeiten, seit die Commedia dell‘arte als vorherrschende Theaterform aus der Mode kam, hat es immer planmäßige Improvisationskonzepte gegeben, und manche waren wirklich dufte.
In Frankreich existiert eine besonders wohlorganisierte Form dieser Kunst, die als Wettkampf mehrerer Mannschaften inszeniert wird (das sogenannte „Match d‘improvisation“, ein Theatersport, in dem eine „Ligue d’impro“ die andere nach Punkten schlagen muß). Das ist sehr amüsant, aber ich hatte im Publikum immer das Gefühl, hier würde sich sehr gewieft aus einem Setzkasten bedient – einem gut sortierten, edel geformten, wohlproportionierten, aber trotzdem aus einem Setzkasten.
Dem musizierenden Improvisationskünstler Frieder Nögge habe ich viele Abende lang freudig zugesehen, aber auch er griff letztlich auf ein Repertoire zurück, ein Handwerk, das freilich viel zu vertüftelt war, als man es schnöde hätte durchschauen können. Und dieses Repertoire hatte Mut zur Lücke. Einmal – Nögge hatte wie gewohnt um Zurufe aus dem Saal gebeten – nannte jemand den Namen einer damals bekannten Moderatorin aus dem Privatfernsehen. Der Künstler überraschte uns alle damit, dass er die Dame nicht kannte. Es kam auch rasch ans Licht, warum nicht: als Waldorf-Schüler verachtete er das Fernsehen und schimpfte fürchterlich, dass man ihn mit solchem Unflat behelligte. Ich staunte nicht schlecht: unter diesen Umständen war es ein wirklicher Drahtseilakt, Abend für Abend das Volk um Stichworte zu bitten. Jetzt war ich restlos beeindruckt – wenn auch nicht von der Improvisation.

Mein grundsätzlicher Argwohn gegen das Genre wuchs und wuchs. Auch hochgeschätzte Legenden des Showgeschäfts waren davon nicht ausgenommen.
Stanley Kubrick lobte einmal den genialen Komiker Peter Sellers als den einzigen wahren Improvisationskünstler, den er kenne – ein Adelstitel, wie es in der Filmgeschichte wenige gab. Kubrick meinte, andere Leute verfielen beim Stehgreif-Act schnell in eine Art „repetitive hotch potch“, nicht so Peter Sellers!
Das ist bei Sellers doch genauso, dachte ich, nur dass es eben ein überdurchschnittlich raffiniertes „hotch potch“ ist, mit dem wir es hier zu tun haben. Wie in der Barockmusik liegt der Schlüssel zum Erfolg in Wiederholung und Variation.

Ich glaubte schon, mein gestörtes Verhältnis zum kreativen Ausbruch vor aller Augen könnte nicht tiefer erschüttert werden, da ereignete sich etwas, womit ich nicht gerechnet hatte.
Aus reiner Nettigkeit – vielleicht auch nur, weil mein Reaktionsvermögen nicht das beste ist – habe ich zugesagt, als mich einmal jemand besonders lieb fragte, ob ich nicht zu einer Impro-Show mitkommen wollte.
Eine Woche später saß ich prompt in der Vorstellung einer Hamburger Gruppe und war an Leib und Seele unverblüfft.
Ich sagte zu mir selbst: „Nun komm doch endlich in Stimmung, du alter Bock! Die anderen lachen doch auch!“
Nach einem kleinen Sketch mit einem zankenden Liebespaar stellte der Impromeister dem Publikum die Aufgabe, ihm ein Filmgenre zuzurufen. „Das parodieren wir für euch! Wir spielen euch die letzte Szene dann noch einmal in diesem Genre vor! In jedem, das ihr wollt!“
Um zu verhindern, dass jemand etwas so Lahmes wie „Western“ oder „Krimi“ sagte, machte ich einen Vorschlag, den ich für besonders originell hielt. Ich rief gleich als Erster: „Propagandafilm!“
Der Kollege an der Rampe zog ein angewidertes Gesicht.
„Das ist ja ekelig!“ rief er beleidigt. „Wollt ihr sowas? Wollt ihr das wirklich?“
„Naaain!“ antwortete es brav im Chor. Hinten hatte sogar jemand den Mut, ein wenig zu buhen.
Donnerwetter! Ich hatte doch nur eine Parodie erwartet, und jetzt war ich plötzlich der Held in einem echten Propagandafilm.
Glücklicherweise meinte dann jemand: „Western!“ – und alles war wieder gut.

Ich schließe nicht aus, dass ich bis heute gar nicht begriffen habe, was die Leute mit dem Wort „Improvisation“ eigentlich meinen. Vielleicht meint ja jeder etwas anderes. Oder auch nicht.
Vielleicht hat Hugo Egon Balder schon alles Nötige dazu erklärt, als er einmal in einem Interview sagte: „Die Kollegen lieben sowas. Da müssen sie keine Texte lernen!“

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