Der Glückspilz

betr.: 14. Todestag von Jack Lemmon

Der Lifetime Achievement Award des Americam Film Institute ist die höchste Auszeichnung, die die amerikanische Filmwirtschaft zu vergeben hat. Der Schauspieler Jack Lemmon war im Jahre 1988 der 16. Empfänger und der erste, der jung genug war, um unter den vorherigen Preisträgern Förderer und väterliche Freunde und Kollegen zu finden: John Ford, James Cagney, Henry Fonda, James Stewart und Billy Wilder.
Lemmon übernahm in Hollywood die Aufgaben, die hierzulande Heinz Rühmann zufielen: den heiteren Blick auf die Tragik des kleinen Alltagsmenschen.
In seiner Dankesrede sprach Jack Lemmon über die faszinierende Zeit des frühen US-Fernsehens, als nicht nur Shows sondern auch Serien und Fernsehspiele noch wie Theaterstücke geprobt und dann live übertragen wurden. So beschränkend und mühselig das in der Rückschau auch erscheinen mag, diese „Playhouse“-Produktionen waren eine fabelhafte Schule für alle beteiligten Fernseh- und späteren Filmschaffenden, nicht zuletzt für eine ganze Generation von Hollywoodstars, die „für einige Zeit unsterblich“ werden sollten.

Wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, sind es vor allem die vielen Zufälle, die mich erstaunen, die absolut nichts mit meinen Fähigkeiten zu tun hatten oder mit einem Mangel daran. Ohne sie hätte ich vielleicht gar keine Karriere gehabt. Schon mit acht oder neun wollte ich nur Schauspieler werden. Ich spielte in der Schule, in den Pausen, bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit. Ich hielt mich für auserwählt, das amerikanische Theater zu retten.
Ein paar Jahre nach dem College kam ich nach New York, und aus irgendwelchen Gründen ließ man mich am Theater nicht so richtig zum Zuge kommen. Aber etwas anderes kam auf, wovon ich keine Ahnung hatte, und zwar das Live-Fernsehen. Und das war das beste Training für junge Schauspieler. So wie es damals war, wird es nie wieder sein.
Außer, wir erfinden ein völlig neues Medium.
Niemand konnte damals sagen, was funktionieren würde, also gab es keine Beschränkungen. Niemand hatte Angst vor etwas Neuem. In nur einer Woche konnte man alles spielen – alles außer Musicals, denn die waren zu teuer. Die hätten vielleicht hundert Dollar gekostet …
Sobald man einen Fuß in der Tür hatte, war die Sache gelaufen. Man konnte beinahe davon leben und machte unschätzbare Erfahrungen. Ich arbeitete mit Regisseuren oder Autoren, noch bevor wir wußten, wie gut sie waren: Regisseure wie Franklin J. Schaffner, John Frankenheimer, Sidney Lumet, Autoren wie Reginald Rose, J. P. Miller, Rod Serling, Paddy Chayefsky … – nicht einmal sie selbst wußten, wie gut sie waren.

Film interessierte mich kein bißchen. Was nicht live war, hatte nichts mit Schauspielerei zu tun. Nicht, dass ich naiv gewesen wäre, ich war blöd. Aber als das Angebot für Probeaufnahmen kam, sagte ich dennoch zu. Immerhin war das Buch von Garson Kanin. Der Star sollte Judy Holiday und der Regisseur George Cukor sein.
Ich kam also an die Westküste – kein Cukor weit und breit. Judy war wieder in New York, und ich fragte, wie ich denn die Probeaufnahme machen sollte. Man stellte mich zwei jungen Autoren und Regisseuren vor, die Harry Cohn in einem Verschlag im zweiten Stock eingepfercht hielt. Ihre Namen waren Blake Edwards und Richard Quine. Das waren die beiden ersten, die ich hier drüben kennenlernte, und wir wurden sofort Freunde.

Die Freundschaft mit diesen beiden gehört sicherlich zum Besten, was ich all die Jahre hier erfahren habe. Dick Quine schlug vor, die Probeaufnahmen mit mir zu machen, und er muß gewußt haben, was er tat, denn ich bekam die Rolle.°
Also drehte ich meinen ersten Film.*

Ich wußte, dass John Ford in Kürze mit dem Film „Mr. Roberts“ („Keine Zeit für Heldentum“) beginnen würde und hätte – wie jeder junge Schauspieler im Land – mein linkes Auge oder sogar meinen Eckzahn dafür gegeben, den Fähnrich Pulver spielen zu dürfen.
Als ich meinen Film gerade beendet hatte, besuchte ich das Nachbarset, wo man die Dekorationen von Fords vorigem Film abräumte und neuen aufbaute.
Ein älterer Mann in Turnschuhen, ausgebeulten Hosen, mit Baseballmütze und Augenklappe saugt an einem Fetzen und läßt mich nicht aus den Augen. Wahrscheinlich ein Kameratechniker aus dem anderen Team.
Ich sage „Hi“, und er fragt mich, ob ich der junge Lemmon bin, der den Film mit Judy gemacht hat. Ich sage ja, und er fragt mich, ob ich nicht den Pulver spielen will. Ich wäre sicher gut dafür. Ich: „Ja sicher, Ihr Wort in Gottes Ohr!“
Er sagt: „Spucken Sie in Ihre Hand!“ – „Warum?“ – „Das ist ein alter Brauch.“
Er spuckt in seine Hand und streckt sie aus, ich spucke in meine und strecke sie aus. Er sagt: „Ich bin Ford, und Sie sind Pulver!“
Und dann geht er weiter.
Das hatte nichts mit Talent zu tun.
Manche von uns haben enormes Glück, andere nicht. Mir standen eben einige Türen zur richtigen Zeit offen.

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° Mehr zur Zusammenarbeit von Mr. Lemmon und Mr. Quine im Blog vom 10.6.2015
* Bezeichnenderweise hieß dieser erste Film „It Should Happen To You“.

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