Bitte wiederentdecken: „Marty“

betr.: 3. Todestag von Ernest Borgnine

Ernest Borgnines wagenradgroßer Schädel mit der auffälligen Zahnlücke war eines der langlebigsten Gesichter Hollywoods. Gut 60 Jahre lang hatte er seinen Charakterkopf in die Kino- und Fernsehkameras gehalten, in Trash wie auch in Klassikern aller Genres.
Seit 1972 war er mit Tova Traesnaes verheiratet, die ihrem Gatten das Kompliment machte: „Ernest ist ganz anders in seinen Rollen. Er hat ein goldenes Herz.“ Das klingt, als hätte sie seine Filme nicht sehr aufmerksam angeschaut. Borgnine spielte zwar zumeist Ganovenrollen, die von seiner bulligen Erscheinung profitierten, aber immer wieder war er auch als Kumpeltyp zu sehen, als Komödiant oder als väterlich-kantiger Teil eines Teams guter Jungs.
So zum Beispiel auch in seiner wichtigsten Hauptrolle. „Marty“ war der große Oscar-Gewinner von 1955, dann geriet er flugs in Vergessenheit. Das ist bedauerlich.
Er ist ein Meisterwerk des Kinos.

Der nette, aber wenig ansehnliche und etwas schwerfällige Metzger Marty hat kein Glück bei den Frauen. Das betrübt ihn ein wenig, aber seine Familie bringt es schlicht auf die Palme. Sogar von den ältlichen Kundinnen an seiner Theke muß er sich zwischen zwei Wurstscheiben ermahnen lassen, dass es mit über 30 endlich Zeit wäre, zu heiraten (wen, ist nicht so wichtig) und endlich bei seiner Mutter auszuziehen.
Als er die Lehrerin Clara kennenlernt, läuft sein soziales Umfeld wieder zu großer Form auf: seine Mutter – eine italienische Einwanderin mit viel Familiensinn – ist eifersüchtig, und seine Kumpels bedecken ihn mit Spott und Abfälligkeiten. Clara ist ihnen nicht attraktiv genug. (Man mag sich gar nicht ausmalen, wie ihre Häme geschäumt hätte, wenn sich ihr Freund eine wirklich dufte Mieze geangelt hätte …)
Die realistische Schilderung der kleinen Leute, für die der Film einst gelobt wurde, ist für die Verhältnisse der damaligen Zeit ungeheuer drastisch und gibt sich keinerlei Sozialromantik hin. Der sonst eher in Problemfilmen thematisierte bürgerliche Muff ist mit Oberflächlichkeiten der fiesesten Sorte angereichert. Bei allem falschen Mitleid, das Marty entgegenschlägt, wird er auch ein klein wenig um seinen Individualismus beneidet.
Trotzdem funktioniert der Film als leichte Komödie – was an den Dialogen von Paddy Chayefsky und an seinem herzensreinen Helden liegt, den Borgnine als unbeirrbaren Gemütsmenschen anlegt.

Reclams „Filmführer“ wirft „Marty“ „vermeintlichen Realismus“ und „viel Sentimentalität“ vor. Diesen Eindruck kann nur haben, wer sich den Film ohne Ton anschaut!

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Eine Antwort zu Bitte wiederentdecken: „Marty“

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