Ein Gebilde mit 64 Beinen

betr.: 83. Todestag von Florenz Ziegfeld

Über dem Theater des New Yorker Impresarios Florenz Ziegfeld prangte der Schriftzug: „Durch dieses Tor gehen die schönsten Beine Amerikas!“
Ziegfeld, ein Protegé des großen Buffalo Bill und Lehrling in seiner „Wild West Show“, war ein umtriebiger Visionär, der z.B. in Hollywood an der Realisation des Stummfilmes „Ben Hur“ mitwirkte und der als Produzent die Tollkühnheit besaß, Ende der 20er Jahre schwarze und weiße Darsteller gemeinsam in einem Musical auftreten zu lassen. Der daraus entstandene Welterfolg „Show Boat“ war nicht unwichtig für die mühevolle Emanzipation der Afroamerikaner.
Sein prominentestes Verdienst aber ist und bleibt die Übertragung der Revue aus dem fröhlichen Paris an den Broadway und die Bewirtschaftung eines legendären Ensembles aus bildschönen Mädchen, der „Ziegfeld Follies“.
In unserer Zeit, in der die bereits verwirklichten Bestrebungen der Frauenbewegung unter einem Kompost aus weitgehend sinnloser Genderei und political correctness begraben sind, dürfen wir uns scheinheilig gruseln über die Losung, die Ziegfeld als Definition des Ziegfeld-Girls ausgab: „Ein Ziegfeld Follie muß Persönlichkeit und Anmut haben. Für mich spielt es keine Rolle, ob das Haar lang oder kurz ist, blond oder brünett, solange es das Gesicht sanft einrahmt. Die Augen sollten groß und Ausdrucksvoll sein. Ein ebenmäßiges Profil ist ein entscheidender Vorzug. Ein schön proportionierter Rücken und Schultern und ein runder Nacken sind unverzichtbar. Zugleich sind zierliche Hände nötig. Die Beine müssen wohlgeformt sein, und nicht zuletzt muß die Figur wohlproportioniert sein.“ Gentlemen, der er war, ließ er immerhin den Busen unerwähnt, wurde aber schon damals gerügt, der Persönlichkeit der einzelnen Künstlerin in seinen opulenten Tanzformationen zu wenig Raum zu geben.

Zu dieser Darstellung gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: sowas sagt oder schreibt man heute nicht mehr laut und deutlich, aber die Gültigkeit dieser Maßstäbe ist im männlich-heterosexuellen Teil der Welt deswegen nicht geschwunden. Die gute Nachricht: Männer sind vom Jugend- und Schönheitswahn inzwischen auch nicht mehr ausgenommen. Das ist ein kleines Stück Gerechtigkeit sowohl für die Gesellschaft als auch für die Unterhaltungsindustrie.

Dieser Beitrag wurde unter Film, Gesellschaft, Musicalgeschichte, Musik, Theater abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert