Zweimal bin ich zur Welt gekommen …

betr.: Berliner CDU-Mitglieder stimmen gegen „Ehe für alle“

Außerhalb der Berliner CDU ist Homosexualität heute vielfach nicht mehr abendfüllend, und das stelle ich – bei allen Problemen, die noch zu lösen sind – mit Dankbarkeit und Erleichterung fest. Auch die Idee, eine künstlerische Laufbahn einschlagen zu wollen, sorgt nicht mehr zwangsläufig für Familienkrach. Der heutige Beitrag berichtet von einer noch gänzlich anderen Situation vor knapp 30 Jahren.

… oder: Ein Coming-Out in den 80ern

Als ich meine ersten Auftritte in der freien Theaterszene absolvierte, steckte ich noch mitten in einer seriösen Berufsausbildung – nicht zum Schauspieler oder Kabarettisten, versteht sich; ich war Zögling eines Zeitungsverlags. Dort wurde ich im Grafischen Gewerbe unterwiesen. Dies geschah in einem konservativen südwestdeutschen Umfeld, das (gut 40 Jahre nach Kriegsende) noch sehr von der Sexualmoral der Adenauerzeit geprägt war.
Noch hatte ich mich einen Arbeitskollegen gegenüber nicht geoutet – warum auch und bei welcher Gelegenheit? Ich hatte für mich immerhin entschieden, in dieser Sache nicht zu lügen oder zu lavieren, sobald die Sprache darauf käme.
Im zweiten Lehrjahr war es soweit, und das hing mit meinem eigentlich angestrebten Kabarettistenberuf zusammen.
Die örtliche Schwulengruppe bot mir eine frühe Gelegenheit, mit einem Soloprogramm herauszukommen, eine einmalige Show im Rahmen einer jährlichen Veranstaltung.
Selbstverständlich sollte dafür möglichst effektiv geworben werden, und natürlich mußte auch mir daran gelegen sein, mit dieser Werbung möglichst viele zu erreichen.
Es war also klar: mit dieser Öffentlichkeitsarbeit würde sich in jedem Falle auch meine sexuelle Neigung am Arbeitsplatz herumsprechen.

Die Plakate wurden geklebt, und schon am darauffolgenden Werktag fragte mich der für Hohn üble Nachrede zuständige Kollege ganz direkt, ob ich das wirklich sei, der da angekündigt wurde. Ich bejahte. Sofort ließ er mich stehen und eilte über den Flur zu den Kollegen von der Schriftsetzerei – man konnte die dortigen Ereignisse durch zwei große Panorama-Glasscheiben verfolgen wie einen Film, bei dem der Ton fehlte.
Angeregte Gesten, gereckte Finger in meine Richtung, Nachfragen, Kopfschütteln.
Ich war so gespannt darauf, wie diese Entwicklung meinen Alltag verändern wurde, dass ich kaum Zeit hatte, mich den Ängsten und Befürchtungen hinzugeben, die im Klima der frühen AIDS-Jahre und der damit verbundenen CSU-Parolen durchaus vorhanden waren.
Ich wußte auch, der schon erwähnte Meldegänger würde sich mit seiner Haltung zu mir so lange zurückhalten, bis klar war, wohin die Reise ging und wie das Betriebsklima die Neuigkeiten aufnehmen würde. (Daher auch sein eiliger Aufbruch, nachdem er mit mir gesprochen hatte.)
Niemals wurde ich direkt darauf angesprochen. (Es liegt allgemein und mehr als anderswo  in der saarländischen Mentalität, niemals und unter keinen Umständen, mit Betroffenen selbst über ein zwischenmenschliches Thema zu reden!)
Die Reaktionen auf meine pure Anwesenheit waten trotzdem vom neuen Kenntnisstand geprägt.
Ich habe ein paar Beispiele ausgesucht.

Einer meiner Schichtführer – u.a. zuständig für meine fachliche Einarbeitung – war mir schon zuvor als erzkonservativ aufgefallen. Er hatte die handelsüblichen Vorbehalte gegen Ausländer, Punks, Arbeitslose, Rockmusik etc., aber die verriet er nur selten und ohne Leidenschaft. Sie können sich kaum negativ ausgewirkt haben, da er politisch m. W. nicht aktiv war. Er strahlte diese Stammtischmentalität im Alltag nicht auch aus: ein gepflegter, kleinwüchsiger Herr mit verschmitztem Charme, dem in unseren gemeinsamen zwei Jahren bei der Arbeit niemals der geringste Fehler unterlaufen ist. Er arbeitete leise und präzise aber frei von Strebertum und Übereifer.
Das einzige, was nicht zu diesem rundherum gefälligen Bild passte, war seine verstörend häßliche Handschrift, aber das ist zugegebenermaßen ein sehr verwegener Einwand.
Meine naturgemäße fachliche Unzulänglichkeit fand er ein wenig unappetitlich, aber er regte sich darüber nicht auf und sagte nie ein lautes Wort – zu mir nicht und auch zu niemandem sonst. Seine Kritik war allerhöchstens kopfschüttelnd.
Als mein Geheimnis nun die Runde gemacht hatte, verriet er mir mit einem sehr langen deutlichen Blick, dass ich bei ihm nun endgültig unten durch war.
Im Berufsalltag bedeutete dies sonst praktisch keine Veränderung.
Unser Abteilungsleiter war ein knurriger Griesgram, die Bilderbuchversion eines kantigen älteren Vorgesetzten, mit den Niederungen der Ebene vertraut, aber von einem hintersinnigen Humor und – wie mir versichert wurde – in Konfliktsituationen mit höherer Etage stets auf der Seite seiner Untergebenen.
Ich hatte das Gefühl – aber das ist wirklich nur ein Gefühl und sonst nichts – dass er mich nun ein kleines bißchen mehr respektierte, als es ihm zuvor mit diesem Lehrling möglich gewesen war, mit dem ihn so herzlich wenig verband.
Ich hatte mich freilich auch vorher nicht über ihm zu beklagen.
So ähnlich hielt es der Großteil meiner Kollegen. Wer mich nun gar nicht mehr ertragen konnte, fand Wege, einem persönlichen Kontakt künftig ganz aus dem Wege zu gehen.

Wie verhielt sich nun der weiter oben genannte Herold, der sich um die Verbreitung meines Backgrounds so verdient gemacht hatte?
Etwa eine Woche lang beschränkte er unseren Verkehr auf das Allernötigste. Dann entspannte er sich etwas und ließ mich sogar wieder an seinen abfälligen Scherzen über Dritte teilhaben – das freute mich, denn einige seiner Parodien waren wirklich brillant.
Von Zeit zu Zeit war es ihm dennoch wichtig, mir gegenüber Haltung zu zeigen.
Wenn ich morgens zur Arbeit erschien – als Auszubildender tat ich das 90 Minuten nach dem eigentlichen Schichtbeginn – war er mitunter gerade dabei, mit einem gleichgesinnten Mitarbeiter lauthals miefige Schwulenwitze auszutauschen. Er achtete stets darauf, dass ich im rechten Augenblick in Hörweite war und kam akkurat zum Schluß, um mir die Möglichkeit zu geben, die Kränkung offiziell anzunehmen – die hohe Schule der schlampig vorgehaltenen Hand.
Mal ganz im Vertrauen: ich war immer sehr leicht zu provozieren.
In diesen Fällen ist es mir aber stets gelungen, mich zurückzuhalten.
Es hat mir gar keine Mühe gemacht.
Zu meinem eigenen Erstaunen.

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