I Am What I äääh …

betr.: 21. Jahrestag von Shirles Basseys Konzert in Cardiff / „I Am What I Am“

Das Showgeschäft ist nichts für Weicheier, das ist eine Binsenweisheit, so alt wie das Gewerbe selbst. In den letzten Jahren ist es sogar noch immer schlimmer geworden, denn was nützt alles Komponieren, Proben und Produzieren, wenn man wirklichen Weltruhm damit erntet, dass man sich beim Daddeln am PC filmt und ins Netz stellt … oder beim Schminken … oder beim Geben von Schminktipps?
Als Unterhalter der alten Schule, der es noch immer mit solidem Handwerk versucht, braucht man hin und wieder etwas für’s Gemüt, einen Beweis – oder wenigstens einen kleinen Beleg dafür – dass es hie und da in der Unterhaltungsindustrie noch wahre Gefühle gibt und sich wahrhaftiger Einsatz lohnt.
Schon klar: wer heute noch sowas erwartet, der muß ein ziemliches Tränentier sein. Es bleibt mal wieder nur der Griff ins Archiv und der Blick zurück in eine Zeit, als die Welt noch ein bißchen in Ordnung war.
Einen solchen Moment bietet Shirley Basseys Konzert in Cardiff, in dem die Künstlerin als Tochter eines Nigerianers und einer Engländerin 1937 zur Welt gekommen war.

Worum geht es?
Auf der Bühne steht eine jener Diven, die ohne ein homosexuelles Stammpublikum nicht im Entferntesten so groß geworden wären, dass auch das Hetero-Publikum sie hätte genießen können.
Der Liederabend von Shirley Bassey ist also auch ein Get-Together der schwulen Community.
Shirley singt all ihre großen Hits – die James-Bond-Songs sind gleichmäßig über das Programm verteilt. Aber natürlich wartet das Fachpublikum hauptsächlich auf eine Nummer, bei der jeder einzelne der Anwesenden sich vorstellen kann: Diese Platte hat sie extra für mich gemacht.
Die Nummer heißt „I Am What I Am“ und ist nicht ganz ohne. Vordergründig ein mitklatschbarer Hackenschmeißer, ist sie bei näherer Betrachtung zutiefst abgründig.
Sie stammt aus dem Musical „La Cage Aux Folles“ von 1983. Wie schon deren Vorlage, die französische Filmkomödie „Ein Käfig voller Narren“, feiert diese Show den halbseidenen Amüsierbetrieb als erstrebenswerten Lebensentwurf – eine Komödie getreu der Devise „Lachen ist immer noch die beste Art, anderen die Zähne zu zeigen“.

Zu diesem Zeitpunkt hat der homosexuelle Teil der Bevölkerung eine lange Leidensgeschichte hinter sich, und noch ist keinerlei Tauwetter in Sicht. Die meisten Betroffenen haben sich ein Leben lang selbst verleugnet, haben ein Doppelleben geführt, ihre Liebsten belogen, sich versteckt.
Einige von ihnen suchten sich im Tingeltangel ein Ventil. In Rotlichtvierteln und den etwas sumpfigeren Bereichen der Tourismusbranche sublimierten sie den tiefsitzenden Wunsch, ihrer Identität zu etwas Außenwirkung zu verhelfen, indem sie eine Performance hinlegen.
Wie bei jedem Clown, dem ja sprichwörtlichermaßen überhaupt nicht nach Lachen zumute ist, während er seine Scherze macht, verbirgt sich hinter der wetterfesten Fröhlichkeit eines frivolen Travestievortrags stets auch ein (verlorener) Kampf um die eigene Selbstverwirklichung.
Das Publikum ahnt diesen doppelten Boden, kann ihn aber mühelos ausblenden. Möglicherweise liegt in diesem Subtext auch ein Teil des Vergnügens. (Dass es diesem nicht zu nahe kommt, dafür sorgt das Travestie-Duo Mary und Gordy mit beinharter Harmlosigkeit.)

„I Am What I Am“ vermischt nun die beiden Welten. Dieser Song glorifiziert den gesellschaftlich erzwungenen Existenzkampf und hebt ihn aus der Subkultur heraus auf die große Showbühne. Die Show muß weitergehen und das Leben selbst eben auch.
Angesichts dessen hat sich das langjährige Bassey-Stammpublikum diesen Song redlich verdient. Shirley hat einst eine Single-Version davon gemacht und der schwulen Gemeinde, für die inzwischen etwas hoffnungsvollere Zeiten angebrochen sind, eine neue Hymne gegeben. (Vergessen sind solche Kampfschnulzen wie „Take A Walk On The Wild Side“ und „Je ne regrette rien!“)
Der große Moment ist da! Das vertraute Intro ertönt, Shirley Bassey kommt ganz nah an die Rampe, um die Botschaft zu verkünden, die jahrelang so vielen Mut gespendet hat: „What I am needs no excuses“, „It’s my world, and I want to take a little pride in, and it’s not a place, I have to hide in!“
Jeder im Saal kennt diese heiligen Worte aus der Feder von Jerry Herman auswenig – nur Shirley Bassey nicht. Sie versemmelt ihren Top-Seller gleich mehrfach. Darüber breitet sie Schluchzer der menschlichen Rührung, die schauspielerisch nicht vom Feinsten sind.
Und nun kommt es zu dem eingangs angekündigten Augenblick der Gnade und des Trostes.
Die Fans breiten ihre Arme aus, vergeben ihrer Glamour-Göttin, sagen ihr den Text vor und übertönen ihn sogleich mit anhaltendem Jubel. Sie haben nicht nur ihre Hymne live erlebt, sie durften sogar eines privaten, geradezu intimen Momentes aus dem Leben ihres Idols innewerden.
Welch ein Publikum!
Für einen flüchtigen Moment konnte man sich der Illusion hingeben, das Showgeschäft sei vielleicht doch nicht so hart. Irgendwo da draußen müsse es doch noch ein richtiges Publikum geben: atmend, applaudierend, leibhaftig anwesend, mit Herz.

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