Ein Feiertag zum Fürchten

betr.: 106. Geburtstag von Al Capp*

Seit mir in jungen Jahren ein paar Geschichten um den Dorftrottel „Li’l Abner“ in die Hände fielen, bin ich ein Fan von Al Capp. Selbst vom Landleben an einer glücklichen Kindheit und Jugend gehindert, erblickte ich nichts als die reine Wahrheit in den Geschichten aus Dogpatch, einem Kaff, das zugegebenermaßen noch weiter draußen lag als meines – so weit in den Bergen Kentuckys, dass dort noch nicht einmal Elektrizität zur Verfügung stand. Wie in jeder guten Satire ging es hier aber nur Vordergründig um eine einzelne Bevölkerungsgruppe. Diese Comics packten jeden politischen Flügel, jede ethnische Gruppe, jedes soziale Käsekästchen gnadenlos bei den Weichteilen. Die Frechheit wucherte auf eine Weise in den Texten wie in den Zeichnungen, die mir so noch nicht untergekommen war.
Ich war später recht irritiert von der Unbeliebtheit ihres Schöpfers Al Capp (Al Caplin) in der einschlägigen Fachliteratur. Das ansonsten treffliche Quellenwerk „Comics – Anatomie eines Massenmediums“ attestiert ihm „fehlenden Esprit“ und die Absicht, „die altüberlieferten Tugenden der amerikanischen Gesellschaft zu bewahren“ und setzt das Wort Satire in diesem Zusammenhang in Gänsefüßchen. Das zweibändige Rowohlt-Leselexikon „Unterhaltung“ kritisiert die moralischen Qualitäten seiner Heldinnen, und der Walt-Kelly-Übersetzer Bernd Brummbär korrigiert in einem Vorwort ein bereits existierendes Urteil: „Nicht Al Capp, sondern Walt Kelly ist der Swift der Comics“. All dies deckt sich keineswegs mit meinem Leseerlebnis.
Eine Erklärung für all den Unmut findet sich zwischen den Zeilen der Kritiker: wie so viele von uns war Capp zunächst ein Linker und wurde mit zunehmendem Alter konservativ. Er erklärte dazu, er habe die Dummheit stets dort gesucht, wo sie zu finden war.

„Li’l Abner“ ist ein Muttersöhnchen, ein schlicht gestrickter aber gut gewachsener Bursche, der noch bei seinen liliputanischen, greisenhaften Eltern lebt. Selbst zu heiraten ist seine Vorstellung vom Höllenfeuer – soviel zu Al Capps Vorliebe für amerikanische Werte – und dass seine hartnäckigste Verehrerein Daisy Mae eine monroide rassige Schönheit ist, ändert daran nichts.
Leider steht Abner mit dieser Einstellung in Dogpatch nicht allein, und so muß ein Ritual her, das dem klebrigen Standesamt-Sam (dem zentralen Bösewicht*) die Kundschaft zutreibt.
1937 – im 4. Jahr der Serie – erfahren wir die Geschichte von Sadie, der Tochter von Hekzebia Hawkins, einem früheren Bürgermeister von Dogpatch. Als sie mit 35 noch immer unverheiratet war, kam es zu folgendem Dialog: „Pappi, du muss mir’n Mann besorgn, oder du has mich für immer am Hals!“ – „Entsetzlich! Ich besorg dir einen. Gleich morgen!“
Bürgermeister Hawkins nutzte seine Macht, um alle Junggesellen von Dogpatch an einer Linie zusammenzutrommeln und zu verkünden: „Jungs! Ich muß Maßnahmen ergreifen! Beim ersten Schuß lauft ihr alle los, beim zweiten Schuß startet Sadie. Der, den sie fängt, muß sie heiraten!“ – also der, den sie bis Sonnenuntergang über die Ziellinie zerren konnte. So fing sich Sadie einen Mann. Den verbliebenen alten Jungfern des Ortes zuliebe, wurde seither an jedem 15. November der Sadie-Hawkins-Tag gefeiert.
Es ist Al Capp nicht mehr zu nehmen, dass er mit diesem Einfall den american way of life bereichert hat. Der Sadie-Hawkins-Day wurde viele Jahre lang an amerikanischen Universitäten tatsächlich durchgeführt – laut der Wikipedia zwischen dem 19. und 30. November.

Als Daisy Mae und Li’l Abner 1952 heirateten, war das „Time“ und „Life“ eine Titelgeschichte wert. Zu diesem Zeitpunkt erschien der Strip in 900 Zeitungen (zeitweise waren es weltweit über 1000) und hatte täglich 80 Millionen Leser.

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* Siehe dazu  auch den Blog vom 8. März 2015

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