Aus der Philosophie des Werbefunks

betr.: 91. Jahrestag der ersten Radiosendung in Österreich, ausgestrahlt von der RAVAG, dem Vorgänger des ORF

Ebensowenig wie es eine milbenfreie Wohnung gibt, kann es Medien geben, in denen kleine Klischees benutzt oder verbreitet werden, denn sie sie sind die Universalsprache, die Sender und Empfänger verbindet, in der Werbung den Verkäufer mit dem Kunden.
Die Basis dafür bildet der berühmte Ausspruch von James Brown: „This Is A Man’s World“ – Auch wer damit persönlich nicht einverstanden ist, kennt diese Vorgabe und versteht ihre Botschaften.

Am zwingendsten behaupten sich diese Gesetzmäßigkeiten in der Off-Sprache, also in der eigentlichen Kernbotschaft am Ende des klassischen Werbespots. Nach der Spielszene im On („Nicht zu fassen – nur zweimal gewaschen und schon total verfusselt!“) hält sie die Lösung des Problems bereit: den Kauf des Produktes („Jetzt neu! Kaufen auch Sie!“). Man spricht auch vom pack shot, dem Blick auf die Packung. Dabei sollte der Eindruck entstehen, der Träger dieser geheimnisvollen Stimme habe unbemerkt den vorherigen Dialog belauscht – zusammen mit den Zuhörern am Fernseher / Radiolautsprecher.

Eine Off-Stimme ist einer ganzen Reihe von Regeln unterworfen und bietet nur wenig Raum für künstlerische Entfaltung.
Die Off-Stimme ist wohlklingend, aber körperlos und irdener Mühsal nicht unterworfen: Erschöpfung, Hast, dem Kampf ums Dasein. Freiwillig erlebt sie manches ein wenig mit, vor allem genüssliche Momente.
Der Off-Sprecher muß eine gewisse Distanz wahren, ohne in die Monotonie abzurutschen und darf sich keinerlei Marotten erlauben. Was im On mitunter Freude macht, ist hier tabu. Sprachfehler, Geschmatze, ein zu ausgeprägter Personalstil verleiten augenblicklich dazu, sich die redende Person bildlich vorzustellen. Wer das tut, ist für den Inhalt des Textes augenblicklich verloren.

Manch ein Produkt verlangt zwingend nach einem männlichen Off – der Baumarkt, das Bier, das sportliche Duschgel – manch eines nach dem weiblichen – die Anti-Falten-Creme, das Mikrofasertuch, die Backmischung.
Und dann gibt es jene Produkte, die sich von beiden Geschlechtern präsentieren lassen.
Auch hier muß man sich ans Klischee halten.
Der Mann ist stets viril, zupackend und der Herr im Haus, die Frau aber wartet gleich mit einer Fülle von Vorzügen auf. Sie spendet Wohltaten, sie ist die Zuflucht des Mannes: sie hat ihn geboren, später wird sie ihn lieben, sie versteht und heilt (wo der Mann lediglich repariert und denkt).
Eine Frauenstimme ist also stets aufmunternd, wenn es eine unbehagliche Angelegenheit zu verschönen gilt.
Nehmen wir die beklemmenden Beispiele Bank oder Versicherung. Während eine werbende Männerstimme von Stabilität und Zuverlässigkeit kündet („Wir sind die Faust, die Ihren Weg freiräumt!“), verheißt eine Frauenstimme – auch bei unverändertem Text – Optimismus („Ach, wahrscheinlich müssen Sie die Dienste unserer Versicherung gar nicht in Anspruch nehmen.“) oder einen wohligen Serviervorschlag („Mit Hilfe unseres Kredites können Sie Ihrer Familie ein gemütliches Heim verschaffen!“)
Nicht umsonst sind es an Bord von Flugzeugen stets entwaffnend klingende Damen, die über Miesigkeiten informieren – aber auch ein gehauchtes „Delay“ bedeutet nichts anderes, als dass man zu spät kommen wird.
Die Bahn, die so gerne wäre wie die Lufthansa (keiner weiß, warum), hat das noch nicht begriffen.
Dabei hat der hilfreiche weibliche Sound Tradition: in den frühen Tagen der Telefonie konnte man hellere Stimmen besser verstehen, und so waren es diese, die uns „den letzten Ton des Zeitzeichens“ ansagten oder uns verrieten, dass es „unter dieser Nummer“ keinen Anschluß gebe. Diese Arbeitsteilung hielt sich bin die Ära der verbesserten Klangqualität. Das feminine Navigationssystem ist der Enkel des Fräuleins vom Amt.

In der Vergangenheit kam es häufiger zur geballten Präsenz bestimmter Sprecherkollegen, die den gesamten Werbeblock dominierten, zumeist vertraute Organe aus der Synchronbranche. Die deutschen Stimmen von Tom Hanks oder Jack Nicholson waren zeitweise in jedem zweiten Clip zu hören, was der Werbebotschaft keineswegs dienlich war. Wie kam, wie kommt es dazu?
Ganz einfach.
Wir stellen uns den Feierabend eines leitenden Werbeagenten vor. Während er sich – auf dem Bett sitzend – die Socken auszieht, steht die Gattin (eine branchenfremde Fernsehzuschauerin) im Bad. Ein Dialog entspinnt sich über diese kurze Distanz: „Sag mal, Schatz, die anderen werben doch alle mit der Stimme von diesem Kevin Spacey?“ – „Äh … ja … kann sein. Warum?“ – „Wieso macht ihr das nicht auch? Also, ich finde, der klingt sexy!“
Am nächsten Tag, zurück in der Agentur, wird dieser Fehler korrigiert.

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