Die schönsten Filme, die ich kenne (4): „Telefon“

betr.: 103. Geburtstag von Don Siegel

Der Beruf des Schläfers ist mit den Attentaten vom 11. September und ihrer Nachbetrachtung in den Sprachgebrauch übergegangen. Anders gesagt: ein harmloses Wort hat seither eine zusätzliche Bedeutung.
Die besonderen Umstände der Programmierung eines Menschen und seiner späteren Freischaltung sind niemals so plastisch und bestrickend vorgeführt worden wie in „Telefon“ (deutsche Schreibweise im Originaltitel), einem Nebenwerk des Regisseurs Don Siegel.

„Telefon“ ist einer meiner besonders fehlbaren Lieblingsfilme. (Ihn einmal meinem Filmclub zu präsentieren,  der ihn ungeachtet der enthaltenen Vorzüge in der Luft zerriss, war keine gute Idee.)
Poetisch ausgedrückt hat er, wie von Rilke beschrieben, eine „Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht“. Diese Mitte sind die beiden Hauptdarsteller Charles Bronson (zerknittert wie nie) und die patente Lee Remick. Er langweilt als maulfauler Bolschewisten-Macho, sie ist als zartfühlende Kleinbürgerin, die im Ernstfall auf Terminatorin umschaltet, fehlbesetzt bzw. unglaubwürdig.

Der in Ungnade gefallene russische Spion Dalchimsky flieht in die USA, um die dort stationierten Maulwürfe in Tätigkeit zu setzen. Wir lernen jeden von ihnen rasch ein wenig kennen, ehe das Telefon klingelt und Dalchimsky die Worte zu ihnen spricht, die einen verschütteten Mechanismus auslösen. Der Kern der Botschaft ist eine wunderbar mehrdeutige Textstelle von Robert Frost: „Des Waldes Dunkel zieht mich an / doch muß zu meinem Wort ich stehn / und Meilen gehn / bevor ich schlafen kann.“ Der oder die  Angerufene fällt in Trance und führt präzise die Missetat durch, die viele Jahre zuvor eingeimpft wurde. Eine Mutter verlässt im Bademantel das Haus – ihre eben noch ausgeschimpften Kinder zurücklassend, ein humorvoller Pfarrer unterbricht eine Reparaturarbeit, ein muffiger Autoschlosser verwandelt sich in eine muffige Killermaschine. Wer verrichteter Dinge noch dazu in der Lage ist, tötet sich mit Zyankali – eine verstörte Mitwelt zurücklassend.
Zum Glück hat Dalchimsky  eine voyeuristische Ader. Dass er aus sicherem Abstand dem jeweiligen Inferno lüstern zusehen will und entsprechende Reisen in Kauf nimmt, gibt unseren Helden die Möglichkeit zum berühmten Wettlauf mit der Zeit, der im damaligen Kino so beliebt war.

Freilich ist „Telefon“ natürlich schnell zu verzehrende Kolportagekost im Stil der späten 70er. Doch die Szenen jenseits seines tauben Zentrums sind bis ins Pianissimo ausgetüftelt. Es ist unüblich, dass kleinste Nebenrollen und ihr natürliches Umfeld so gut gearbeitet und so sorgfältig inszeniert sind. Das Schicksal dieser Täter-Opfer-Figuren gewinnt eine zusätzliche Ironie dadurch, dass ihre Missionen längst überholt sind und sie irgendwann vermutlich einen friedlichen Tod gestorben wären.
Außerdem verfügt der Film über einen bestens aufgelegten Donald Pleasence in der Schurkenrolle und die spätere Serienheldin Tyne Daly als Computerexpertin (beide in unterschiedliche Richtungen hinreißend!). Pleasence ist der Inbegriff der elenden Wanze. Noch als ihm Bronson in einer Telefonkabine die Kehle zudrückt, versucht er ein letztes Mal, den Code herauszuwürgen.

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