Der Song des Tages: „Sing Me Not A Ballad“

betr.: 515. Geburtstag von Benvenuto Cellini

Mit zunehmenden Alter gewinnt eine Binsenweisheit immer größere Bedeutung, die man mir im Rahmen meiner Erziehung stets vorenthalten hat. Immer ermahnte man mich zur Geduld, wenn man eigentlich nur seine Ruhe haben wollte. Dabei ist doch das (zu) lange Abwarten eine der größten Sünden, die der Lebensweg bereithält. Das werden meine Eltern und all die anderen Erwachsenen unzweifelhaft bereits gewußt haben, als sie mich aufs Glatteis führten.
In Liebesdingen gilt die umgekehrte Anweisung, die Zeit zu nutzen, die Feste zu feiern wie sie fallen, ganz besonders. Irving Berlin widmete ihr den gescheitesten aller Texte des Great American Songbook: „Let’s Face The Music And Dance“. Ganz direkt auf Beziehungsfragen gerichtet war der unvergessene Wutausbruch der Heldin in „My Fair Lady“, als sie ihrem jungen Verehrer die Liebesschnulze abschneidet mit den Worten: „Red‘ nicht davon, wie toll du küßt! Wenn dem so ist: tu’s doch!“

Einen versöhnlicheren, schwelgerischen Ansatz hat ein alter Hit von Lotte Lenya: „Sing Me Not A Ballad“. Er stammt aus „The Firebrand Of Florence“, der einzigen Broadway-Show von Kurt Weill, die kein Erfolg war.
Dieses 1945 herausgekommene Musical erzählt die Geschichte von Benvenuto Cellini, eines großen Bildhauers der beginnenden Hochrenaissance. Er ist wegen Mordes angeklagt, schafft es aber, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und weiter zu wirken – als Bildhauer, Goldschmied, Medailleur, aber auch als Schriftsteller und Musiker.
Die Herzogin von Florenz – eine wichtige Nebenrolle – will keine Romanze, sie will mit ihm zur Sache kommen. „Sing Me Not A Ballad“ ist ihre Bitte, sich das Vorgeplänkel zu sparen und gleich mit ihr zu schlafen. Man könnte die Titelzeile übersetzen mit „Quatsch mir keine Opern!“
All die kostbare, schnell verrinnende Zeit – „lost in grim preliminaries“, klagt die Dame.
Sie ist dabei gut gelaunt – nicht melancholisch wie Astaire in dem Berlin-Song und schon gar nicht so zornig wie Audrey Hepburn in „My Fair Lady“. Das bedeutet nicht, dass es ihr nicht ernst wäre. Ich höre aus ihrem heiteren Vortrag den Optimismus heraus, der Angesungene würde sich schon überzeugen lassen: „Just, oh just make love!“
Es ist eine heitere Uptempo-Nummer, die ihre eigene Forderung selbst einlöst, die Liebe nicht zu tragisch zu nehmen. Sie beweint die schöne Zeit, die mit sinnlosem Vorgeplänkel vergeudet  wird:

Oh, the precious hours
Lost im grim preliminaries.
Deck me not in jewels,
Sigh me not your sighs,
duel me no duels
And please don’t vocalize!*

Wann bekommt man schon einmal so genau gesagt, wie’s geht? Cellini wird zumindest dankbar gewesen sein für diesen klugen Rat – so viele Jahre nach einer Kindheit, in der man ihn zum Stillsitzen und zum Verpassen der schönsten Zeit des Lebens aufgefordert hat, wie es seit Jahrhunderten Mode ist.

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* Zum Song: https://www.youtube.com/watch?v=r9Y708f99YM

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