Zum Wiehern!

betr.: 85. Jahrestag der Uraufführung von „Im weißen Rößl“

In der Zwischenkriegszeit war Berlin die Kulturhauptstadt der westlichen Welt – als Nachfolgerin Wiens und kurz bevor New York diesen Status erobern sollte.
Es war die Stadt von Ernst Busch, Bert Brecht, Marlene Dietrich, den Kritiken von Alfred Kerr und den Vorlesungen von Albert Einstein.
Das leichte Unterhaltungsangebot sah entsprechend aus. Die legendäre Fritzi Massary ließ sich von Leo Fall und Oscar Straus Operetten auf den Leib schneidern, die Comedian Harmonists brachen zu Welttourneen auf, Max Reinhardt verzauberte mit seinen Inszenierungen.
Als ein Großereignis von vielen wurde im Großen Schauspielhaus, dem heutigen Friedrichstadtpalast, „Im weißen Rößl“ uraufgeführt. Es erlangte Weltruhm und wurde als „White Horse Inn“ sogar am Broadway gespielt.
Vereinfacht gesagt stammt es von Ralph Benatzky, denn der schrieb den Titelsong, aber eine ganze Gruppe von meisterlichen Mitautoren und –musikern trug das Repertoire zusammen.

Bis heute ist diese Klamotte von unseren Spielplänen nicht herunterzukriegen. Sie ist das einzige vergleichbar präsente kulturelle Überbleibsel aus dem Hauptstadt-Unterhaltungsangebot der Weimarer Republik, und wann immer sie gespielt wird, kann es da und dort freilich keine andere Operette geben. Betrüblicherweise ist das „Weiße Rößl“ außerdem häufig ein Vorwand, auch in der übrigen Spielzeit nichts Vergleichbares zu spielen. Es ist zu einem Synonym für die altmodische musikalische Komödie geworden, zur faulen Ausrede, zu einem Pfropfen.
Der Grund für diese Monokultur liegt auf der Hand: das Publikum kennt diese Show (und hat das meiste übrige seit Ewigkeiten nicht sehen können und daher längst vergessen), und die Theaterleute sind mehr denn je darauf bedacht, ihm Überraschungen zu ersparen.
Geschieht uns recht!

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