„Wenn uns der Schädel auch raucht“

betr.: 25. Todestag von Rolf Hansen / Musical-Geschichtsunterricht vom 20. November 2015

„Davon geht die Welt nicht unter“ und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh‘n“ von Zarah Leander sind Evergreens, die wir Nachgeborenen als heiter und unbeschwert erleben können, aber sie verweisen auf den Zweiten Weltkrieg und die Spätphase des Nationalsozialismus. Michael Jary hat sie komponiert.
Ihre Entstehung ist ein Beweis für die Hinfälligkeit der Goebbels’schen These, es wäre möglich, ohne Juden und Homosexuelle ein Volk zu unterhalten.

Der Textdichter Bruno Balz erinnert sich an die Einzelheiten:

Anfang 1942 bekam ich Ärger. Klassischer Fall von 175. Gestapohaft, Folter, Verhöre, Erniedrigung – na, lassen wir das.
Jedenfalls muß der Minister Goebbels damals so einen Wettbewerb ausgerufen haben: Deutschlands beliebteste Schlagerkomponisten schreiben ein optimistisches Lied als Geschenk für den Führer.
„Tja“, sagt Michael Jary, „ich möchte mich aus diesem Wettbewerb ausschließen, denn optimistische Lieder, die kann ich nur mit Bruno Balz schreiben, und den habt ihr gerade eingebuchtet.“ – „Aha“, sagt Goebbels. „Vielleicht kann man da was machen. Vielleicht ist er ja gar nicht schwul.“
„Wenn das so ist“, sagt Jary, steht auf und geht raus, fährt mit seinem Auto direkt in die Prinz-Albrecht-Straße zum Gestapo-Hauptquartier und sagt: „Ich muß unbedingt Bruno Balz sprechen. Sie müssen ihn freigeben, es geht um ein Geschenk für den Führer!“
Natürlich hat niemand vom Propagandaministerium angerufen. Es gibt kein Fernschreiben, nichts. Einfach nur Jary. Und schafft er es, dass ich ihm vorgeführt werde.
Und wie er mich zerschundenes, zerlumptes Häufchen Elend sieht, da sagt er: „Bruno, Bruno! Gut, dass du da bist! Du mußt sofort mitkommen! Es geht um ein Geschenk für den Führer!“
Und irgendwie hat er es geschafft. Die haben mich wirklich gehen lassen.
Das war Jarys Husarenstück.
Am nächsten Tag sprach die ganze Filmbranche davon. Und wir haben noch in der selben Nacht angefangen zu arbeiten.
Ein optimistisches Lied.
Meine erste Idee war so etwas wie: „Nur die Ruhe, diese Blödmänner überleben wir auch noch!“
Aber Zarah, die bei uns war und das Lied singen sollte, fragte, ob wir einen an der Waffel hätten. „Mit dem Lied landen wir sofort in der Strafkompanie an der Ostfront!“ Also haben wir uns was anderes ausgedacht. Zwei drei Sachen, und Zarah hat sie alle gesungen.
Und das erfolgreichste Lied, das schönste, das bald ganz Deutschland sang, und alle richtig verstanden außer Goebbels, das war das beste von allen. Bei jeder Zeile mußte ich an meine Haft denken.

Der Film, in dem die Songs „Davon geht die Welt nicht unter“ und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh‘n“ zum Einsatz kamen, war „Die große Liebe“ von Rolf Hansen, und er brachte es auf 27 Millionen Zuschauer. Es ist eines der wenigen Werke der Nazi-Filmproduktion, in denen SS-Uniformen zu sehen sind; denn üblicherweise galt für Goebbels die Maxime, dass Propaganda am besten funktioniere, wenn ihre Konsumenten sie gar nicht bemerkten.
Bruno Balz durfte nun unter Pseudonym weiterarbeiten.
Zarah Leander war zu diesem Zeitpunkt längst dabei, heimlich ihre Devisen in Sicherheit zu bringen und ihre Fans nebst Propagandaminister auf dem bevorstehenden Endsieg sitzen zu lassen, ein guduldig und systematisch ausgeführter Fluchtplan.
Die Diva hat nach dem Krieg betont unpolitisch getan, was ihr weder ihre schwedischen Landsleute glaubten (die sie dafür verachteten) noch ihre deutschen Fans (die sie dafür liebten und bis ans Ende ihres Lebens als Gegenstück zur „Vaterlandsverräterin“ Marlene Dietrich feierten).

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