Peter Pan und die Musik

betr.: 111. Jahrestag des ersten öffentlichen Auftritts von „Peter Pan“

Zugegeben – angefangen hat alles mit der Erzählung „The Little White Bird“ von 1902. – In einem Nebenstrang denkt der Autor James M. Barrie über den Jungen Peter Pan nach. – Aber erst zwei Jahre später reift der Knabe (man verzeihe mir diesen Kalauer) im gleichnamigen Bühnenstück zu „The Boy Who Wouldn’t Grow Up“ heran. Spätestens seit der klebrigen Überzuckerung dieser Entstehungsgeschichte durch Johnny Depp und seine Mitarbeiter ist das ja allgemein bekannt.
Seither hat es unzählige Aufbereitungen seiner Abenteuer gegeben – in Comics, im Stummfilm, im Fernsehen, im Kinderfunk und natürlich und vor allem im Zeichentrick. Hier und heute sollen uns nur die musikalischen Projekte interessieren, denn bereits Barries Show im Londoner Duke Of York’s Theatre war ein Singspiel gewesen – wenn auch naturgemäß noch kein Musical, sondern die Art von Bühnenstücken mit Liedeinlagen, die im alten West End so beliebt waren. Die Musik stammte von John Crook.

James Barrie hat immer wieder daran herumgeschrieben und sogar im dirtten Akt noch eine komplette Szene hinzugefügt. Erst als 1928 eine Barrie-Gesamtausgabe erschien, ließ er davon ab – wiederwillig, wie wir annehmen dürfen.

Schon 1924 überarbeitete Jerome Kern „Peter Pan“ für den Broadway, ein Spezialist für das amerikanisieren europäischer Operetten und im Begriff, das Musical an sich als Genre zu definieren.* 1950 ergänzte Leonard Bernstein diese Partitur um fünf Songs, jener musikalische Alleskönner, der seine Musical-Karriere mit dem Welterfolg der „West Side Story“ einige Jahre später beenden sollte. In dieser Fassung trat Boris Karloff (das klassische Filmmonster persönlich!) als Käpt’n Hook auf, und ich werde nie verwinden, das nicht gesehen zu haben.
Bernsteins „Peter Pan“ wird gern mit jenem durcheinandergebracht, den ein weiterer Schöpfer der „West Side Story“ 1954 nachlegen sollte: der Choreograph Jerome Robbins.
(Hier hat mit Sicherheit der Zeichentrick-Hit von Walt Disney eine Rolle gespielt, der im Jahr zuvor herausgekommen war.) Mary Martin war diesmal Peter Pan – seit 1904 verließ man sich bei Bühnenfassungen stets auf eine Dame in der Hauptrolle.
Die Musik sollten eigentlich die Newcomer Mark Charlap und Carolyn Leigh komponieren, doch je mehr sich das Ganze zu einer Musical-Großproduktion auswuchs, mißtraute Robbins ihren Beiträgen, und er holte sich prominente Verstärkung: den ehemaligen Stimmbildner Jule Styne (später Komponist von „Gypsy“ und „Funny Girl“) und das gewiefte Comedy-Autoren- und Songtexterpaar Betty Comden und Adolph Green.
Dieser „Peter Pan“ von 1954 ist die klassische Broadway-Ausgabe, das offizielle Gegenstück zum Disney-Film.

Beide blieben mir als Kind und Jugendlicher versagt – denn noch war das Video-Zeitalter nicht angebrochen, und Disney-Filmperlen wie diese konnte man nur alle paar Jahre bei ihren Wiederaufführungen im Kino sehen.
So war mein erster Käpt’n Hook Danny Kaye in der britischen TV-Version von 1975, der sich mit Mia Farrow herumschlagen mußte. Die Songs kamen von Leslie Bricusse und Anthony Newley.

Auffallend ist, dass all die genannten „Peter Pan“s eine sehr ähnliche Musikdramaturgie haben, die schon Barries Urfassung vorgegeben hat. In allen gibt es ein Schlaflied, eine Flugnummer, ein Piratenlied und etwas, das sich mit Disneys Ohrwurm „Following The Leader“ vergleichen läßt. Ein Song hat mich – als halbwüchsigen Filmmusik-Forscher – lange irritiert. Ich wußte, es gibt einen Popsong mit dem schönen Titel „Never Smile At A Crocodile“, den ich nicht zu unrecht dem Disney-Repertoire zugeordnet habe. Die Melodie – auf der Basis des Tick-Tack jenes Weckers, den das Krokodil verschluckt hat, was außerdem sehr gut zu des Oberschurken Holzbein paßt – ist dort auch im Underscoring zu hören, doch der Song kommt im Film nicht vor. Trotzdem war er in der Vor-“Arielle“-Epoche – mit der eine ganz neue Art von Disney-Songs Einzug hielt – einer der großen Disney-Hits und ein überaus populärer Filmsong.

____________________
* siehe dazu den Blog vom 11. Mai 2015

Dieser Beitrag wurde unter Comic, Fernsehen, Film, Filmmusik / Soundtrack, Literatur, Medienkunde, Medienphilosophie, Musicalgeschichte, Musik, Theater abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert