Der Imperator aller Außenseiter

betr.: 42. Geburtstag von „Das Monster von Frankenstein“ als deutscher Marvel Comic (Williams Verlag)

Im fast 10 Kilo schweren Prachtband „75 Years Of Marvel“, einem Füllhorn von Fakten, Anekdoten und breauschenden Abbildungen, taucht eine Serie nur in einer Aufzählung und als nicht-colorierte Titelseite auf. Roy Thomas, der Autor dieses Jubiläumsfolianten, war auch an ihr beteiligt*, aber er schätzt sie nicht und steht damit nicht allein. „Das Monster von Frankenstein“ war 1973 im Rahmen einer trendigen Horrorwelle ins Marvel-Verlagsprogramm aufgenommen worden. Sein gestrauchelter Protagonist war mit einem doppelten Trauma geschlagen. Sowohl innerhalb seiner Geschichte als auch in (Nicht-)Leserkreisen wurde unentwegt auf ihn eingedroschen. Zugegeben: für einen Marvel-Helden, der naturgemäß Glamour und Triumph verkörpert, sind das schlechte Voraussetzungen.

Frankenstein 74
Die Serie existierte nur knapp drei Jahre bei einem zweimonatigen Erscheinungsrhythmus, beinahe parallel in den USA und in Deutschland.** Mehrere Autoren und Zeichner kamen und gingen*, und noch häufiger als der Stil wechselte das zugrundeliegende Konzept.
Sie ahnen es: ich möchte eine Lanze brechen.
Der Comic „Das Monster von Frankenstein“ ist ein ungehobener Schatz!

Der modernisierte Prometheus

Die ersten vier Ausgaben waren eine Nacherzählung des Romans von Mary Shelley. Sie würden, in einem Band zusammengefaßt, eine attraktive Graphic Novel auf der Höhe unserer Zeit und der heutigen Lesegewohnheiten abgeben, nicht zuletzt wegen der genregerechten Zeichnungen des von und an Will Eisner geschulten Michael Ploog.
Es war also unausweichlich, dass die zuständigen Redakteure sich für die folgenden Ausgaben etwas einfallen lassen mußten.

Man ließ das Monster noch eine Weile im Jahre 1898 sein Unwesen treiben und vergeblich auf Liebe und Verständnis hoffen, ehe man es in die Gegenwart, die USA des Jahres 1974, transferierte und mit dem Modernen Menschen zusammentreffen ließ.
Über diesen restlichen Teil der Serie (bei uns die letzten 29 von 33 Heften) ist seither kaum ein freundliches Wort gesagt, geschrieben oder gepostet worden – während die parallel laufende Reihe „Die Gruft von Graf Dracula“ bis heute ihre Bewunderer hat und den Kinohelden „Blade“ hervorbrachte. Als einer der bisher letzten Rezensenten watscht Gernot Zipperling auf seiner überaus nützlichen Seite https://www.wmca.de (Williams-Marvel-Comic-Archiv) „Frankenstein“ quasi im Vorbeigehen ab – mit dem Hinweis, er habe diese Hefte ohnehin nur spät und widerwillig gelesen.

Er gliedert sich grob in vier Teile, die nicht chronologisch ihre deutsche Leserschaft erreichten.

1. Abschnitt:
Williams #1 – 4: Die bereits erwähnte Nacherzählung der klassischen Buchvorlage
2. Abschnitt:
#5 – 12: Die Abenteuer des Monsters im 19. Jahrhundert und sein Erwachen aus dem Kälteschlaf im 20. Jahrhundert
3. Abschnitt:
# 14 – 26: Das Monster wird nach Europa gebracht, medizinisch behandelt und in den Kampf mit einem internationalen Verbrechersyndikat verwickelt.
4. Abschnitt:
# 27 – 33 – Eine Rückblende: Die Auseinandersetzungen des Monsters mit zwei verrückten Wissenschaftlern und der Welt der Schausteller.

Im dritten Abschnitt stürzt Marvels „Das Monster von Frankenstein“ ins Polarmeer und wird in unseren Tagen, eingeschlossen in einen Eisblock, von einer Eisbrecher-Mannschaft gefunden, aufgetaut und – noch bewußtlos – nach New York gebracht.
In #12 (im Original wie auch bei uns)** wird in wenigen knappen Bildern von des Monsters Begegnung mit zwei Neurochirurgen erzählt, ehe es sich im vierten Abschnitt mit einem problematischen Jugendlichen anfreundet und mit diesem zurück nach Europa reist.
Es gelangt in die verschneite Majestät der Schweizer Alpen, wo es im Chalet von Veronika Frankenstein (ganz recht: eine Nachfahrin seines ungeliebten Schöpfers) einem chirurgischen Eingriff unterzogen wird. Es erlangt nun die Fähigkeit zu sprechen zurück, die ihm bei einem früheren Abenteuer verlorengegangen war.

Eine Verbrecherorganisation, die sich des Monsters bemächtigen will, verwickelt es in einen Kampf mit einem Androiden wie wir ihn unter der Bezeichnung Borg später bei „Star Trek“ näher kennenlernen durften. Das Monster versöhnt sich mit ihm, nachdem es ihm einen Arm ausgerissen hat. In trauter Leidensgenossenschaft spazieren die beiden aus dem Schlußbild der Ausgabe Nr. 24 (US #17).

Ein ungehobener Schatz des absurden Theaters

Heute wissen wir, dass die oben erwähnte nur kurz abgehandelte Wissenschaftler-Episode, welche bei uns die letzten Ausgaben füllte, wenn auch nur in Schwarzweiß, ausführlich in den USA zu lesen war. Dies geschah in der Heftreihe „Monsters Unleashed“. Als die „Frankenstein“-Serie vom Hamburger Williams-Verlag auf Deutsch verlegt wurde und aus den USA kein Material mehr zu bekommen war, entschloß man sich, diesen Teil der Saga zu colorieren und als Rückblende nachzureichen. Als Rahmenhandlung diente die US-Ausgabe #18 und eine Ergänzung, die nur für den deutschen Markt geschaffen wurde (nachzulesen in unserer Heft-Nr. 26), der vierte Block unserer Zählung (chronologisch der dritte). Autor war der Marvel-Übersetzer Hartmut Huff, Zeichner der Spanier Leopold Sanchez.

Über diese Geschichte, das o.g. Abenteuer mit den beiden Chirurgen, ist besonders viel Häme ausgeschüttet worden.
Sie behandelt eine Art Gelehrtenstreit zwischen einem jungen und einem alten Wissenschaftler – beide sind ausgemachte Halunken, wie sich herausstellt – um mehrere Hirntransplantationen und im Finale schließlich um einen per Voodoo aktivierten Zombie, der unser Monster in eine Art freakigen Kinderhort lockt.

Ich kann mir ausmalen, dass das alles im damaligen Erscheinungsmodus kein wahres Lesevergnügen gewesen sein mag (schon gar nicht, wenn die Alternativen „Fantastic Four“, „Hulk“ oder „Spiderman“ hießen), aber gerade diese vierte und letzte Passage der Serie hat ihre Meriten. (Mit ihrem Ende erreichte die deutsche Heftreihe mit der Nr. 33 das Ende des Materials und wurde ohnehin – gemeinsam mit vielen anderen Marvel-Titeln – eingestellt.)
Ich fühle mich bei ihrer Lektüre an Ionesco erinnert, angedickt mit einem gehörigen Schuß Jules Verne, Curt Goetz und Ambrose Bierce. Die stets auf ihren Vorteil bedachten ruchlosen Laboranten, das Horrorhaus mit den Teenie-Scheusalen und inmitten all dessen das klassische Frankenstein-Monster als „MacGuffin“ all dieses Treibens – das hat satirisches Potenzial. Der Blogger Luis Dantes scheint das ja auch bemerkt zu haben. Er gibt uns sogar eine Tabellenübersicht an die Hand, die den (wenigen) Lesern dabei helfen soll, angesichts der zahllosen Hirnaustauschungen den Überblick zu behalten.

Frankenstein_Übersicht
In einem Forum veröffentlicht von Luis Dantes am 25. Januar 2015

Es gibt sogar eine Art romantischen Helden, einen gutherzigen Trapez-Artisten (der „Athlete“ in der Tabellenübersicht), der eine reine, etwas schlichte Schönheit in den dreckigen Grusel dieser Menschenversuche hineinleuchten läßt, ehe er unter die Räder kommt.
Die hier gestreiften zeitlos-aktuellen Themen – Jugend- und Schönheitswahn, Genmanipluation, die Perspektivlosigkeit der Vorstadtjugend – kehren immer wieder in unsere Schlagzeilen zurück, wenn wir auch zur Zeit noch drängendere Sorgen haben.
– Eine davon ist vielleicht nicht ganz so unwichtig, wie es auf den ersten Blick erscheint: unsere Traumfabriken haben uns nichts mehr zu erzählen. Dabei werden gute Geschichten gerade in Krisenzeiten besonders dringend gebraucht.
Es ist an der Zeit, einige der älteren wieder aufzutauen.

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* Weiterhin wären noch die Autoren Gary Friedrich und Doug Moench zu nennen sowie der Zeichner Val Maverik, der einen Großteil der Serie gestaltete. Die Schwarzweiß-Zeichnungen in „Monsters Unleashed“ besorgte einer der größten Marvel-Künstler: John Buscema.
** Die deutsche Nummerierung wich in der Folge von der amerikanischen ab, da dort ein zweimonatlicher und bei uns ein monatlicher Erscheinungsrhythmus gepflegt wurde. Ab unserer Nr. 13 mußten die US-Geschichten auf je zwei deutsche Ausgaben aufgeteilt und das Magazin mit kurzen Horrorgeschichten aufgefüllt werden. Diese magere Dosierung des Hauptprogramms hat dem Ansehen der Reihe weiter geschadet.

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3 Antworten zu Der Imperator aller Außenseiter

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