Broadway’s Like That – Die Geschichte des Musicals (4): Victor Herbert

Und ganz viel Europa – Die Anfänge des Broadway (4) (Fortsetzung vom 5. April)

My Gallant Crew, Good-morning_H.M.S.Pinafore*
Text: William S. Gilbert, Musik: Arthur Sullivan
(Noten als PDF)

Der Kapitän der Pinafore, der hier Höflichkeiten mit seiner Mannschaft tauscht, versichert, nie seekrank zu sein oder zu fluchen. „Was, nie?“ – „Nun ja, kaum je!“* Die Textzeile wurde rasch zum geflügelten Wort, nur ein weiteres Zeichen einer wahren Pinaforemania, welche die Amerikaner ergriffen hatte. Im Zuge dieser Begeisterung fanden in den nächsten zwei Dekaden nicht nur Werke von Gilbert & Sullivan, sondern auch Arbeiten anderer europäischer Operetten-Komponisten ein bereitwilliges amerikanisches Publikum.

Gleichfalls aus London kam eine weniger anspruchsvolle musikalische Unterhaltung, die ebenfalls die amerikanische Musikbühne beeinflusste. Als erstes dieser Stücke, deren Kennzeichen eine zeitgenössische, unsentimentale Handlung und ein umgangssprachlicher Ton in Texten und Musik waren, wurde 1894 „A Gayitie Girl“ am Broadway aufgeführt. Ihr englischer Produzent George Edwards nannte diese Stücke ausdrücklich „Musical Comedy“, ein Begriff, der sich darauf im amerikanischen Unterhaltungstheater nicht nur einbürgerte, sondern der so populär und geläufig wurde, wie später „Musical“.

1859 in Dublin geboren, in Deutschland zum Musiker ausgebildet, wurde Victor Herbert, der erste, der ausdrücklich amerikanische Operetten schreiben sollte. Herbert war Komponist von Konzertwerken und eigentlich Cellist. In dieser Funktion hatte er ein Jahr lang im Orchester von Eduard Strauss, einem Bruder von Johann, gespielt. Da seine Frau, die Sängerin Therese Förster, an die MET engagiert worden war, kam Herbert 1886 nach Amerika, wo er Karriere als Cellist, Leiter einer Militärkapelle, schließlich als Leiter des Pittsburgh Symphony Orchestra machte.

In den 90er Jahren begann Herbert, Operetten zu komponieren und hatte 1898 mit „The Fortune Teller“ einen ersten Erfolg. Herbert war ein sehr fruchtbarer Komponist und schrieb Operetten in beträchtlicher Anzahl. Sein populärstes Werk wurde wohl „Naughty Marietta“ von 1910. Neben der Musik hatte Herbert eine Leidenschaft für Essen und Trinken und wusste beide Passionen zu kombinieren. Als er einmal – so wird kolportiert – an vier Operettenpartituren gleichzeitig arbeitete, ließ er sich jeweils vom zum Schauplatz passenden Wein inspirieren: Bordeaux und Burgunder für das französische, Chianti für das italienische, Rhein- und Moselwein für das österreichische und eine Spezialmischung für das afghanische Sujet. Aus einem großen Bottich in seinem Arbeitszimmer griff er sich beim Sprung von Partitur zu Partitur die jeweils passende Flasche heraus.

Von seinen Erfolgen ist uns heute „Babes In Toyland“ (1903) vermutlich am präsentesten. Dieses Werk erfuhr im Jahre 1934 eine Verfilmung mit Laurel & Hardy, ein Beitrag zur Reihe der sogenannten Laurel-&-Hardy-Operetten. Dieser Film wurde lange kaum gezeigt, nachdem Disney 1960 ein Remake hergestellt hatte. Da der Konzern die Verbreitung dieses Films inzwischen selbst nicht mehr befördert, ist die 1934er Fassung wieder zugänglich.
Das Liebeslied „Our Castle In Spain“ bedient sich eines hübschen Kniffs. Wie verspricht man seiner Liebsten ein Schloß in einem Märchenland, wenn man ohnehin in „Toyland“ lebt? Man siedelt es an einem real existierenden Sehnsuchtsort an.

Our Castle In Spain_Babes In Toyland
Musik: Victor Herbert, Text: Glen Mac Donough
(Noten als PDF)

Obwohl Herbert sich einmal dazu bekannte, auf jeden fremden Einfluß verzichten und frank und frei amerikanisch komponieren zu wollen, klingen seine Partituren durchaus europäisch gediegen. Als er den Höhepunkt seines Erfolges schon hinter sich hatte, komponierte Herbert 1917 „Eileen“, diejenige seiner Operetten, die er selber am meisten schätzte, vielleicht weil er das Stück mit seinem irischen Sujet als Hommage an sein Geburtsland verstand.

Forts. folgt

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* Dieser Song ist der dritte / vorletzte im Medley von Side Show Bob, siehe letzte Folge der Serie am 5. April.

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