Now You Has Jazz

betr.: 115. Geburtstag von Louis Armstrong*

In meiner Zeit auf dem Gymnasium lasen wir einmal eine Kurzgeschichte, sie müßte „Jerry lacht in Harlem“ geheißen haben. Ein kleiner schwarzer Junge wird in New York bei irgendetwas Banalem von einem Polizisten erwischt. Eine Katastrophe ist programmiert – oder wie man damals sagte: vorprogrammiert – doch zur Überraschung des Lesers ist der betreffende Bulle einer von der netten Sorte. Er gibt dem Kleinen ein paar Tipps fürs Leben und läßt ihn sogar von seinem Pausenbrot abbeißen: „chomp, chomp, chomp“. Tjaaa, da hat Jerry aber Glück gehabt, dass er – ich erfinde das jetzt – an Officer Robertson geraten ist und nicht etwa an den Kollegen McPlumsky, an Sgt. Winterhalter … oder einen dieser anderen Rassisten.
Einer der Gründe, warum man diese Geschichte in unser Schullesebuch aufgenommen hat, war möglicherweise der Wunsch, unsere Sinne auf heitere Art für das Thema Rassismus zu schärfen. Das ging in meinem Fall daneben: ich verstand die gesellschaftliche Tragweite des Textes nicht. Immerhin behielt ich ihn so gut im Gedächtnis, dass ich ihn einige Jahre später begreifen konnte.

Die Biographie eines der größten Entertainer des 20. Jahrhunderts könnte den Autor inspiriert haben. Louis Armstrong – auch so ein kleiner schwarzer Bengel, aber einer, der in einer noch rassistischeren Zeit und in noch armseligeren Verhältnissen aufwuchs – brachte die besten Voraussetzungen mit, auf die schiefe Bahn zu geraten und frühzeitig erschossen zu werden. Vielleicht sogar von einem weißen Polizisten.

Louis Armstrong verbrachte seine ersten 20 Lebensjahre in New Orleans im „back o town“-Viertel (wegen der dort herrschenden Armut und Gewalt auch „das Schlachtfeld“ genannt), einem Stadtteil der Gauner, Zuhälter – und der Musiker.
Da an allen Ecken Musik zu hören war (die später einmal Jazz heißen sollte) empfand Armstrong seine Kindheit nicht als arm. Immerhin war er clever genug, seine Weste weiß zu halten. Schon als unbescholtener Schwarzer stand man jederzeit mit einem Bein im Kittchen. Die Polizei nahm einen aus Lust und Laune an der Bushaltestelle fest, wenn man nicht nachweisen konnte, dass man zur Arbeit fuhr. Nach 20 Tagen Knast war man seinen Job los und musste noch dafür bezahlen.

Was sich letztlich als bestimmender Faktor seines jungen Lebens erwies, hätte auch ins Auge gehen können. In der Silvesternacht 1912 schoss Louis mit einer Pistole in die Luft, die er dem Geliebten seiner Mutter entwendet hatte. Er wurde in ein Heim für schwer erziehbare Farbige, das Colored Waifs Home gebracht. Bis zu seinem 14. Lebensjahr blieb er dort und kam erstmals aktiv mit der Musik in Berührung. Neben Schule, Garten- und Hausarbeit existierte in dieser Besserungsanstalt auch eine Brass Band. Voller Ehrgeiz setzte Louis alles daran, ein attraktiveres Instrument zu spielen als die Triangel, mit der er anfangs betraut war. Er suchte sich das aus, das am lautesten klang: das Kornett.
Der Rest ist Geschichte.

______________________________
* Louis Armstrong gehört zu den wenigen Stars, die sich etwas älter gemacht haben. Er gab als seinen Geburtstag den 4. Juli 1900 an, also den ersten amerikanischen Nationalfeiertag im neuen Jahrhundert. Dieser unbescheidenen Metapher ist er über die Maßen gerecht geworden.

Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft, Hommage, Literatur, Monty Arnold - Biographisches, Musik, Popkultur abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert