Broadway’s Like That (23): Revolution mit den Gershwins

6. Politik im Musical der 30er Jahre (1)

Wintergreen For President

Hier zieht die Wahlkampfparade für den Präsidentschaftsbewerber John P. Wintergreen vorüber. Es ist die Eröffnungsnummer von George Gershwins „Of Thee I Sing“. Das Schicksal von John P. Wintergreen wird uns weiter unten noch beschäftigen.
Wahlkämpfe und –versprechen, Krieg, Arbeitskampf und Diktatur sind Themen, die man nicht unbedingt im Musical erwartet, denn sie konfrontieren es zwangsläufig mit einer Realität, die den Rahmen eines ausdrücklich unterhaltenden Theaters zu übersteigen droht. Eine Möglichkeit indes, die Kluft zwischen Moral und Politik einerseits und Unterhaltungsanspruch andererseits intelligent zu überbrücken, bietet die Satire.

1927, in dem Jahr, in dem Jerome Kern und Oscar Hammerstein II in „Show Boat“ die Integration von Musik, Songtexten und Tanz in die Handlung des Musicals vorantrieben, verfolgten unabhängig davon George und Ira Gershwin die selbe Absicht. Ihr Ausgangspunkt war aber nicht gewichtiges Drama sondern Satire. Das Libretto dieser musikalischen Antikriegssatire „Strike Up The Band“ mit der Musik von George und den Songtexten von Ira Gershwin stammt von dem Dramatiker George S. Kaufman. Als Komödienschreiber von lakonischem Witz war Kaufman zwischen den beiden Weltkriegen außerordentlich populär. Sogar für die Marx Brothers hat er gearbeitet. Für sie schrieb er – zum Teil mit seinem Co-Autor Morrie Ryskind – Text- oder Drehbücher zu „The Cocanuts“, das Musik von Irving Berlin hatte, zu „Animal Crackers“ und zum unvergleichlichen Film „A Night At The Opera“. Der absurde, aberwitzige, ja anarchische Geist der Marx Brothers ist auch in Kaufmans Zusammenarbeit mit den Gershwin Brothers eingegangen, eine Zusammenarbeit, die sich offenbar bewährte. Denn auf „Strike Up The Band“ ließ das Team George & Ira Gershwin/Kaufman/Riskind noch zwei weitere politische Satiren folgen: 1931 „Of Thee I Sing“ (siehe oben) und 1933 „Let ’Em Eat Cake“.

In „Strike Up The Band“ fließt kein Blut, man marschiert im Steppschritt statt im Stechschritt in den Krieg, es wird nicht moralisiert sondern gespottet. „Strike Up The Band“ zieht die Initiatoren des Krieges durch den Kakao, ihre Aufgeblasenheit und ihre Gerissenheit wenn es um eigene Interessen geht. Es macht sich lustig über das geistlose Drum und Dran von Aufmärschen und den Zwang zum patriotischen Konsens. Amerikanischer Kriegsgegner ist in „Strike Up The Band“ die Schweiz. Da sie gegen eine massive Erhöhung der amerikanischen Käsezölle protestiert, gelingt es dem Käseproduzenten Fletcher, der schon auf jedem amerikanischen Tisch nur seinen Käse sah, einen Krieg gegen die Schweiz anzuzetteln, den er finanziert und der nach ihm benannt wird: der „Horace J. Fletcher Memorial War“. Um die Leute auf den Krieg einzustimmen, findet ein patriotischer Aufmarsch statt. Dort macht man sich Mut, indem man die Namen verdienter Amerikaner aufzählt – von Abraham Lincoln bis Ben Turpin, dem Stummfilmstar mit Silberblick.
Kapitalist Fletcher hat von vorneherein alles fest im Griff! Die Eröffnungsszene von „Strike Up The Band“, die auch sogleich den satirischen Ton des Ganzen festlegt, führt uns in Fletchers Käsefabrik, wo gerade der Arbeitstag anbricht. „Glückliche, glückliche“ Arbeiter beginnen des Tag singend, weil das die Arbeitsleistung steigert. In einer Art täglichem Morgengebet lässt Fletcher die Belegschaft feierlich versichern, das Fletchers Käse größere und bessere Amerikaner schafft.

Forts. folgt

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