Broadway’s Like That (24): Broadway-Musicals in der Großen Depression

6. Politik im Musical der 30er Jahre (2)

War „Strike Up The Band“ als musikalische Politsatire  1927 noch einzigartig im amerikanischen Musiktheater, so hatte es doch Vorgänger in den satirischen Operetten von Jacques Offenbach oder Gilbert & Sullivan. Insbesondere die Arbeiten von Gilbert  & Sullivan waren den Gershwin-Brüdern wohlvertraut. Und auf ihr Vorbild beziehen sie sich auch und wenden es ins Amerikanische. Fletchers Loblied auf sich selbst, in dem er sich als typischer Selfmade-Amerikaner charakterisiert, hat einen weniger großspurigen englischen Vorgänger in „The Pirates Of Penzance“ von Gilbert & Sullivan. Der da von sich behauptet, ein „vorbildlicher, fortschrittlicher Major-General“ zu sein, weiß zwar nicht viel über das Kriegshandwerk, sonst aber alles.I Am The Very Pattern Of A Modern Major-General (Noten als PDF) aus den heute noch viel gespielten „Pirates Of Penzance“ (1879) von Gilbert & Sullivan.

Was nun Fletcher als „typical selfmade american“ auszeichnet ist z.B. sein Cornflakes-Konsum wie sein Hass auf die russische Revolution. Vor allem aber ist er der personifizierte Held aus einem der Knabenromane von Horatio Alger, einem vielgelesenen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der den amerikanischen Mythos, dass es auch der Ärmste durch harte Arbeit zu Ruhm und Reichtum bringen kann, immer aufs Neue in seinen Büchern bekräftigte und verbreitete.

„Strike Up The Band“ wurde von der Kritik gelobt, vom Publikum jedoch nicht angenommen. Die Fassung von 1927 kam über die Voraufführungen nicht hinaus. Zum Erfolg wurde es erst drei Jahre später, freilich mit einer von Morrie Ryskind abgemilderten Handlung. Auch musikalisch unterschied sich diese Version erheblich von der bissigeren ersten Fassung. 1930 begannen sich die Zeiten aber auch zu ändern. Der Börsenkrach von 1929 und die Große Depression hatten die lange Party der 20er Jahre abrupt beendet und stürzten die USA in eine tiefe Krise, die nicht nur eine Wirtschafts- sondern auch eine Identitätskrise war. Das von Horatio Alger so nachhaltig und naiv beschriebene amerikanische Ideal war auf einmal brüchig geworden. Der Schriftsteller und Publizist Edmund Wilson fasste diese Stimmung in Worte: „Das alte amerikanische Ideal vom armen Jungen, der es zum Millionär bringt, das allmählich die Legende vom armen Jungen, der es zum Präsidenten bringt, verdrängte, hat heute fast allen Glanz verloren. Nicht nur wollen die Leute heute nicht mehr Hoover sein, sie wollen auch nicht mehr so häufig wie früher Carnegie oder Henry Ford sein.“

Der 1933 inaugurierte Präsident Franklin Delano Roosevelt, ein New Yorker Demokrat, brachte mit seinem „New Deal“ neue soziale Ideen, neue Hoffnung und eine gewisse Erleichterung, ohne dass die Krise tatsächlich zum Stillstand gekommen wäre. Amerikas gesellschaftliches Klima veränderte sich in den 30er Jahren. Die Intellektuellen neigten vielfach zu politisch linken Ideen oder erkannten eine Notwendigkeit sozialen Engagements. Bei den Literaten etwa stellte ein Zeitgenosse eine Wandlung von den amüsierten Beobachtern der 20er Jahre zu Beteiligten fest. Sogar das musikalische Unterhaltungstheater, dessen Anzahl an Produktionen infolge der Wirtschaftskrise deutlich zurückgegangen war, reagierte auf die Zeitumstände mit einer Reihe von Musicals, die Politik oder Gesellschaft zum Gegenstand hatten. Auf die politischen Satiren der Gershwins folgten in diesem Jahrzehnt ähnliche Arbeiten von Irving Berlin, Cole Porter, Richard Rodgers & Lorenz Hart oder Harold Arlen.

Forts. folgt

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