Broadway’s Like That (27): Wahlkämpfe und Präsidentenportraits

6. Politik im Musical der 30er Jahre (5)

Präsidenten im Musical gab es später immer wieder. 1937 wurde in „I’d Rather Be Right“ von Richard Rodgers (Musik) und Lorenz Hart (Songtexte) Präsident Roosevelt auf die Bühne gebracht, in dessen Rolle sich Theaterveteran George M. Cohan ein spektakuläres Comeback verschaffte. Irving Berlin präsentierte 1962 in seinem letzten Broadway-Musical einen reichlich faden Zeitgenossen als „Mr. President“. Mit einem erstklassigen Wahlkampf konnte 1959 „Fiorello!“ aufwarten. Dieses Musical von Sheldon Harnick und Jerry Bock, die wenige Jahre später mit „Fiddler On The Roof“ Weltruhm gelangen sollten, hat Fiorello LaGuardia zum Protagonisten. Der historische LaGuardia löste 1933 als Bürgermeister von New York den Vergnügungssüchtigen Jimmy Walker mit seiner korrupten Tammany-Stadtregierung ab und steigerte seine Beliebtheit auch dadurch, dass er während eines Zeitungsstreiks die ausgefallene Comic-Seite im Radio vorlas. Hatte der Text von „Wintergreen For President“ damit geprahlt, dass dieser Kandidat besonders die Iren und Juden liebe, so nimmt Jerry Bock in Fiorellos Wahlkampf die Parolen auch gleich musikalisch auf.

Auch die Gerswins zogen in „Let ’Em Eat Cake“ noch einmal in den Wahlkampf. George Gershwin hat darauf hingewiesen, dass er gerade in „Let ’Em Eat Cake“, das musikalisch noch komplexer als sein Vorgänger ist, kontrapunktisch gearbeitet habe, um seine Musik der Aussage des Stückes entsprechend zu schärfen. Gleich der Eröffnungschor gab ihm Gelegenheit dazu, denn hier geraten zwei Wahlkampfaufzüge aneinander. Präsident Wintergreen hat seine erste Amtszeit hinter sich und stellt sich erneut zur Wahl. Nun hat er einen Rivalen – Tweedledee -, der sich von Wintergreen dadurch unterscheidet, dass er die Italiener und Griechen liebt. Diesmal verliert Wintergreen die Wahl und findet sich als Fabrikant von blauen Hemden in New York wieder. Angestachelt vom radikalen Demagogen Krueger, arbeitet er auf eine Revolution hin – mit dem verblüffenden Argument: „Italien – schwarze Hemden, Deutschland – braune Hemden, Amerika – blaue Hemden. Bei Gott, wenn das amerikanische Volk eine Revolution haben will, können wir sie ihm geben! Wir haben die Hemden dafür!“
So abwegig war der Gedanke nicht, den faschistischen europäischen schwarzen und braunen Hemden amerikanische Blauhemden folgen zu lassen. Auch das Amerika der 30er Jahre hatte seine faschistoiden Gruppierungen wie den „German-American Bund“ oder die „Silver Shirts“. Wenig später als „Let ’Em Eat Cake“ sollte das Thema auch belletristisch behandelt werden. In seinem schrecklich-komischen Roman von 1934 „A Cool Million“ (deutsch: „Eine glatte Million“) demontiert Nathaniel West seinen Protagonisten à la Horatio Alger buchstäblich und lässt ihn schließlich zum Helden der faschistoiden Lederhemden werden, die ein ehemaliger Präsident anführt. Sinclair Lewis veröffentlichte 1935 einen Roman über eine faschistische Gewaltherrschaft in Amerika, deren Beginn er in die nahe Zukunft verlegt. „It Can’t Happen Here“ (deutsch: “Das ist bei uns nicht möglich”) bleibt näher an der Realität. Unschwer erkennt man im Diktator Buzz Windrip und seinem diabolischen Gehilfen die Vorbilder von Hitler und Goebbels. Die Satire in „Let ’Em Eat Cake“ richtet dich gegen Demagogie und Extremismus von beiden Seiten. Wie Ira Gershwin bemerkte, schonte sie nichts und niemanden. „In einem Augenblick trampelt das Stück auf der extremen Rechten, im nächsten auf der extremen Linken herum. Das Libretto von Kaufman und Ryskind war manchmal wunderbar witzig, dann wieder in seiner Kritik der amerikanischen Szene gnadenlos realistisch.“

Am Schluß des ersten Aktes von „Let ’Em Eat Cake“ macht Wintergreen seine Revolution. Um Tweedledee zu entmachten, muß er die Armee auf seine Seite ziehen. Seine Frau Mary preist ihn in einem verführerischen Arioso als Ehemann und Familienvater und diffamiert Tweedledee als Junggesellen. Der Coup gelingt aber erst, als Wintergreen der Armee die ausstehenden Kriegsschulden der Alliierten anbietet. Er errichtet eine „Diktatur des Proletariats“ und verspricht den Leuten pompös das Blaue vom Himmel herunter.

Forts. folgt

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