Die schönsten Comics, die ich kenne (5): „Mode Maus“

„Modemaus und ihre Freunde“ („Mode O’Day And Her Pals“) in „Die furchtlosen Kaffeepflücker“*
Texte und Zeichnungen: Robert Crumb, Übersetzung: Harry Rowohlt
Erschienen in „Endzeit Comics“, deutsch 1986 bei Zweitausendeins

Ralf König hat zu einem seiner Vorbilder und zu beider Kunstgattung eine eindeutige Ansage gemacht: „Robert Crumb ist in der Comicwelt der Allergrößte, eine Legende, nicht mehr und nicht weniger, Ende der Diskussion, ich dulde keinen Widerspruch, setzen!“** Seinem sich anschließenden Wunsch, man möge diesen nicht auf „Fritz The Cat“ reduzieren, entspreche ich mit Vergnügen, denn es gibt eine Reihe des Underground-Meisters, die mir persönlich weitaus näher und teurer ist: „Mode O’Day And Her Pals“.

Bei Robert Crumb ist der Abgrund stets in Sichtweite: die Obsessionen, die der menschliche Körper über der Seele ausschüttet, die unausweichliche Armseligkeit des irdenen Daseins (mindestens die des männlichen), der ausbleibende Trost durch die Segnungen und Requisiten der Zivilisation – all das kann der Leser nie verdrängen, ganz im Gegenteil. (Zart und tröstlich ist die Kunst von Robert Crumb allenfalls, wenn er fiktive Plattencovers für die amerikanischen Musiker des frühen 20. Jahrhunderts zeichnet.)
In der Übersetzung von Harry Rowohlt kommt für mich als deutschem Leser Crumbs Humor noch besser zur Geltung – dieser Humor, der so wohltuend und so dringend notwendig ist, um die hammerharten Tatsachen verkraften zu können. Nirgends blüht der Blödsinn prächtiger als in „Modemaus und ihre Freunde“. Wie sich erfahren durfte, ist diese Heldin aus den 80er Jahren selbst Crumb-Fans kaum bekannt: ein selbsternanntes Fashion-Model jenseits der 50, rettungslos eingekeilt in der biografischen Sackgasse. Mit ihrem abgewarzten Kumpel Hundi (Doggo) gibt sie sich nur ab, da er ihr als noch größerer Versager erscheint. Der räudige Hundi – mit einem sonnigen Gemüt gesegnet und insgesamt lebenstüchtiger als die hochmögende Modemaus – ist tatsächlich ein Hund, einige der übrigen Figuren sind Menschen wie die Titelheldin, andere sind Hunahoms*** oder auf den ersten Blick als rassereine Viecher erkennbar: Schweine, Delfine, Enten – je nach Charakter.

In „Die furchtlosen Kaffeepflücker“* entdeckt Hundi in der Zeitung einen Aufruf, den notleidenden Nicaraguanern bei der Kaffee-Ernte zu helfen. Seine Versuche, Modemaus mit seinem plötzlich entflammten Gutmenschentum anzustecken, ruft nur Hohn hervor („Das ist einwandfrei hirnverbrannt, Dahling!“). Als er sich schließlich in eine sozialnihilistische Predigt hineinsteigert, wird er von ihr vor die Tür gesetzt.
Hundi besucht seinen Kumpel J. J. Ganter und eröffnet ihm seinen festen Entschluss, nach Nicaragua zu reisen, um Wohltaten zu spenden. Ganter ist schließlich bereit, ihn zu fahren, doch nach dreißig Metern bleibt der Wagen liegen. Hundi versucht es per Anhalter.
Nachts, irgendwo vor den Toren der Stadt, wird er von der vorbeifahrenden Modemaus aufgegabelt. Sie hat unterdessen mit sich gerungen und bietet Hundi an, nach Nicaragua mitzukommen und sogar zwei Flugtickets zu spendieren. Sie müsse nur noch einmal in ihre Wohnung, um ein paar Sachen einzupacken.
Während sie das tut, nimmt Hundi einen Anruf ihrer Freundin Dottie entgegen – Hundi hat die Gute schon einmal vergeblich angebaggert. Er überredet Modemaus, auf dem Weg zum Flughafen noch bei ihr vorbeizufahren.
Diesmal landen Hundi und Dottie im Bett, und Modemaus fährt verärgert allein los. Ihr Weg nach Nicaragua ist gepflastert mit Verachtung für den wie üblich armselig agierenden Köter („Dieser nichtsnutzige, abtrünnige Hosenscheißer ist sowieso nur unnötiges Gepäck!“) und dem Kitzel der moralischen Überlegenheit („Eine Mission in exotischer Umgebung! Ich egoistische Zicke hab mich viel zu sehr auf meine Karriere konzentriert! Dieser Trip wird eine Therapie für mich sein!“) Als sie in der karibischen Sonne aus dem Flieger steigt, kennt ihr Hochgefühl keine Grenzen.
Auf dem letzten Bild der Geschichte sehen wir sie und J. J. Ganter eine Woche später im mittelamerikanischen Urwald – auf der Flucht vor den Gewehrschüssen der Federales.

Modemaus und ihre Freunde traten in einer Handvoll Geschichten in „Endzeit Comics“ und dem folgenden Band „Ein Heldenleben“ (1992) auf.

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* Dieser Titel ist frei erfunden, um das beschriebene Abenteuer von den übrigen dieser Serie zu unterscheiden.
** „Welt am Sonntag“ vom 30.05.2004
*** Menschen mit Disney-Hundenasen, siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2016/11/11/die-schoensten-comics-die-ich-kenne-3-die-wahrsagerin/

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