Broadway’s Like That (50): Vor „Hair“, nach „Hair“

16. Neue Namen, neue Formen (2)

Gegen Ende der 60er Jahre erreichte der Pop endlich den Broadway, aber für viele hat sich das mehr wie eine Invasion angefühlt, und nicht wie eine willkommene Weiterentwicklung. Da kamen zwei arbeitslose junge Schauspieler – Jerome Ragni und James Rado – auf die Idee, den erregenden Geist ihrer Zeit in einem Musical einzufangen. Dabei wurden Broadway-Traditionen – und nicht nur die – über Bord geworfen: “Es passierte eine Menge damals, und wir verfolgten alles, und als wir zu schreiben anfingen, bauten wir diese neuen Gedanken in unseren Entwurf mit ein. Wir hatten eine Gruppe junger Leute im East Village kennengelernt, junge Burschen, die ihr Haar wachsen ließen, sich der Einberufung entzogen. Wir entschlossen uns, diese Leute in unserer Geschichte nachzubilden. Wir schrieben für das Theater und kannten das traditionelle Broadway-Modell – aber wir wollten etwas Neues erfinden, etwas anderes, das die wundervolle Erregung, die wir in den Straßen spürten, auf die Bühne brachte. Die Zeiten waren voller Experimente, und wir waren entschlossen zu experimentieren.“

Schlagwörter wie “Blumen”, “Freiheit”, “Glück” wurden in „Be In!“ skandiert. Das Lebensgefühl der Jugend der 60er Jahre – Flowerpower, „Make Love, Not War!“ – nirgends wurde es besser konserviert als im Musical „Hair“.
Langhaarige Hippies und Blumenkinder versinnbildlichen dieses Lebensgefühl, ebenso verkörpert es sich in Drogenkonsum und Promiskuität und in einem heute eher naiv anmutenden Protest gegen Establishment und Vietnamkrieg. All das bunt gemischt auf die Bühne zu bringen, mag als inhaltliches Experiment, ja Provokation verstanden worden sein. Als formales Experiment mag gelten, dass die Szenen aus dem Leben des Hippievölkchens, das sich da allabendlich selbst auf der Bühne feierte, nur noch lose verbunden sind. Das Textbuch ließ Raum für eine ungewöhnlich große Anzahl von Songs, die eher einzelnen Episoden zugeordnet als einer Handlungsstruktur eingeordnet sind.
Nach einer knappen Off-Broadway-Laufzeit am “New York Shakespeare Festival Public Theatre” und einem Intermezzo in einer Diskothek, gelangte eine überarbeitete Fassung von „Hair“ durch die Unterstützung eines reichen Geldgebers 1968 an den Broadway.
Obwohl seit den 50er Jahren Rockmusik zum dominierenden Popularmusikstil geworden war, hatte sie am Broadway nicht heimisch werden können. „Bye Bye Birdie“ hatte sich Jahre zuvor den Rock’n’Roll zwar zum Sujet genommen, doch in einer satirischen Art und Weise, so dass es einmal als „Broadway’s Todeswunsch für den Rock’n’Roll“ bezeichnet worden ist.

„Hair“ reüssierte nun auch am Broadway als Rock-Musical. Seine Musik von Galt McDermot lehnt sich stark an die Rockmusik an. Wenn auch die Zeitschrift „Rolling Stone“, der offenbar puristische Wortführer des Rock, sie als „Musik für eine Zahnpastareklame“ verspottete.

Forts. folgt

 

 

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