Raffinierte Propaganda – oder eher gar keine? Zwei westdeutsche Jugendmagazine im Kalten Krieg

betr.: 100. Geburtstag von Rolf Kauka

Ich erinnere mich, dass das gesellschaftliche Klima der 70er Jahre, die sich unbewusst aber zielstrebig auf den Deutschen Herbst zubewegten, keineswegs so unpolitisch war wie etwa in den 80ern und 90ern. Der Diskurs lag in der Luft, sogar unter den Halbstarken. In meiner Realschulklasse gab es einen Jungen, der unentwegt linke Positionen dartat, und auch andere von uns hatten immerhin eine Meinung zu Russen und Amis. Meinem derart stimulierten Blick für politische Lagerbildung ist dennoch einiges entgangen.

Erst im reifen Mannesalter erfuhr ich aus einer arte-Dokumentation, dass das beliebte Jugendmagazin „Yps“ (mit Gimmick!) ein ursprünglich kommunistisches Produkt nach französischer Vorlage gewesen sei.* Ich schlotterte kurz bei diesem Gedanken – immerhin war mir ja nichts passiert – und wunderte mich zugleich, dass mir nichts dergleichen in den Jahren meiner begeisterten Leserschaft aufgefallen war. Wenn es überhaupt eine Botschaft in diesem Magazin gegeben hat (– ich war wohl der einzige, der „Yps“ nur wegen der Comics kaufte und nicht wegen des „Gimmicks“ …), dann lautete sie, dass Geschichte ein spannendes Unterrichtsfach ist und die Welt groß und farbenprächtig, und dass man sich sputen sollte, erwachsen zu werden, um sie sich persönlich anzuschauen.
In Frankreich hieß die Zeitschrift „Pif Gadget“. „Pif“ ist der Name eines Hundes, dessen Serie in der deutschen Version erst in späteren Jahren auftauchte, eine Randfigur; „Gadget“ steht für „Gimmick“, jenes Spielzeug also, das man für den recht stolzen Kaufpreis von 2 Mark 50 gleich miterwarb. In Deutschland war die Titelfigur des Magazins ein kariertes Känguru, das (obwohl ein Männchen!) einen Beutel mit Reißverschluss besaß und das mit einem Vogel, einem Frosch und einer Maus in einer WG lebte … Mal unter uns: ich vermag in solch herrlichem Blödsinn nichts Tiefrotes auszumachen.
In „Yps“ machte ich die Bekanntschaft einiger Comicserien aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich und Belgien.
kauka_katalogMittlerweile museums- und museumskatalogreif: „Fix und Foxi“, die in ihren Anfängen beinahe fotorealistische Füchse waren, mit dem Schnorrer Lupo.**

In diesem Zusammenhang war ein anderes Comicmagazin noch weitaus wichtiger für mich: in „Fix und Foxi“ wurde so ziemlich alles vom vormaligen Erbfeind zu uns hereingelassen, was wir heute als klassische „Comic-Kunst“ bezeichnen. Eine Unzahl frankobelgischer Serien fand durch Rolf Kaukas Treiben erstmals den Weg in unsere Kinderstuben. (Die Kauka-Übersetzungen, das betone ich immer wieder gerne, waren fast immer fabelhaft. Wer darüber mit mir streiten will, der sei zuvor herzlich zu einem direkten Vergleich mit späteren Editionen ermuntert.***)

Im Falle von Kauka wiegen die Vorwürfe, ein verd(r)eckter Schundnickel gewesen zu sein, noch weitaus schwerer als bei „Yps“. Schließlich brachte es sein Jahrgang mit sich, dass er sein Erwerbsleben im Dritten Reich begann und sich hier aus nachgeborener Sicht anscheinend nicht immer heldenhaft verhalten hat – was auf einen Großteil der damaligen (ost- und west-)deutschen Bürger dieses Alters zutraf. Die Argusaugen und flinken Finger böser Zungen untersuchen sein Jahrzehnte umspannendes Gesamtwerk immer mal wieder auf ideologisch bedenkliche Inhalte; in religiösen Zusammenhängen würde man bei einer solchen Lesart von Steinbruch-Exegese sprechen. Wie mühsam es ist, bei „Fix und Foxi“ etwas Belastendes zutagezufördern, erkennt man schon daran, dass die hochkompetente „taz“ Monate gebraucht hat, um einen Schmäh-Artikel**** über eine Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum** zustandezubringen, die zu diesem Zeitpunkt schon fast wieder zuende war. Das einzige vorzeigbare Ergebnis dieser Mühen fand sie in einem Editorial von „Onkel Rolf“ aus dem Jahre 1966, räumt aber durchaus ein, es würden nicht in ihnen „allen Dinge gefordert wie die ‚Freilassung der unschuldigen Gefangenen in Spandau’. Die Zitadelle war das Spezialgefängnis für die bei den Nürnberger Prozessen zu Haft verurteilten sieben Nazigrößen.“
Das ist in der Tat ein übelriechendes Kabinettstückchen, aber in den Comics selbst ist davon nichts zu finden. In der titelgebenden Kauka-Eigenproduktion hat der zivile Ungehorsam seinen festen Platz, etwa in Gestalt des sympathischen Antihelden Lupo, der neben Professor Knox immer mein Lieblingscharakter war.
Wer fair recherchierte Gruselgeschichten über den herrischen Verleger Kauka lesen will, kann das übrigens in Comic-Fachpublikationen tun, zuletzt in der Ausgabe 56 der „Reddition“ vom April 2012.

Wie aber ist es möglich, dass aus zwei so abscheulichen politischen Systemen, die bei aller Ähnlichkeit stets in Anspruch genommen (ja, sich geradezu darüber definiert) haben, einander spinnefeind zu sein, etwas hervorgeht, was (auch im kritischen Rückblick) so lichtvoll, heilsam und befreiend gewirkt hat?
Eine für mich unwiderstehliche Antwort lautet: Der Comic an sich ist etwas so Weltzugewandtes, dass Sabotage darin letztlich nicht gedeihen kann. (Sie kann es versuchen, aber das Ergebnis wird unlesbar sein, die Zielgruppe verjagen, und die Botschaft wird verpuffen.)
Wahrscheinlicher noch ist eine andere Erklärung.
Lassen wir uns kurz darauf ein, die genannten Magazine hätten wirklich eine politische Absicht verfolgt. – Weder „Yps“ noch „Fix und Foxi“ wurden von einzelnen (bösen) Männern bzw. Mächten gemacht. Jede einzelne erzählte Situation Bild für Bild zeichnen zu müssen, ist in der Summe schlichtweg zeitraubender, als sie nur aufzuschreiben oder mal schnell eine Brandrede zu halten; und dazu werden Künstler benötigt, viele viele Autoren und Zeichner. (Bekanntlich hat sich ein gewisser Reichskanzler zunächst als Postkartenmaler versucht, ehe er „aber beschloss“, den ihm idyllischer erscheinenden Beruf des Tyrannen anzustreben.) Comiczeichner wiederum sind mit anderen Dingen beschäftigt als mit Zersetzung und Hochverrat. Zu so etwas haben sie keine Zeit. Schließlich muss der Abgabetermin eingehalten werden – besonders, wenn der Chef ein so strenges Regiment führt. Und dann soll das Ganze ja auch noch leicht aussehen und Spaß machen.

Ich hatte meinerseits keine Zeit für solche Überlegungen, war ich doch mit dem Genuss der Erlebnisse von Fix, Yps und Foxi beschäftigt.
Ich habe schon verdammtes Glück gehabt.
Meine Jugend entging dem benachbarten sozialistischen Freiluftgefängnis ebenso wie dem Nationalsozialismus. Am Glück des Aufwachsens in einem bedrückenden Kaff der noch jungen Bundesrepublik, die der Kabarettist Günter Neumann einmal pfiffig als „’ne ungelernte Republik“ bezeichnet hat, wäre ich gleichwohl jämmerlich zugrundegegangen, hätten mir nicht unter Schundverdacht stehende bunte Heftchen den Ausweg aus der (inneren) Provinz gewiesen.
Ich bin ihnen dankbar – auch wenn ihre Herstellung in den Händen fehlbarer Menschen lag.

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* „Pif, l’envers du gadget“ – arte F 2015 (52 min.)
** Ausstellung „Fix und Foxi – Rolf Kaukas großer Welterfolg“, 12. November 2016 – 26. März 2017, Wilhelm-Busch-Museum Hannover, Katalog bei Edition Alfons
*** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2015/01/10/rolf-kaukas-suendenfall/
**** “Von der Wolfsschanze nach Fuxholzen“ von Enno Schirrmeister, taz nord vom 3. März 2017

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