Die „Carmen“ vom Broadway

betr.: 142. Todestag von Georges Bizet

Dass mir Gershwin immer näher und wichtiger war als Mozart, hat mir schon früh klargemacht, dass ich mich in den Vorgaben eines abendländischen Klassik-Kanons allenfalls zufällig wiederfinden würde. Besonders deutlich wurde mir das am Beispiel der Oper „Carmen“ von Georges Bizet. Wir alle kennen Werke der Hochkultur, denen wir ehrlichen Herzens nicht so tief huldigen können, wie es uns Verstand und Bildung nahelegen.

„Carmen“ war 1875 (im Todesjahr des Komponisten) als hochtragisches Werk für die Pariser „Opéra comique“ geschaffen worden, der Autor war Librettist zahlreicher Offenbach-Komödienklassiker – was mir hätte helfen müssen. Doch obwohl mir die Arie „Auf in den Kampf, Torero“ auf Anhieb ins Ohr ging – in Gestalt von damals unausweichlichen Schlager-Umsetzungen, Parodien und als Vorspann der TV-Serie „Die Bären sind los“ -, mochte ich das Repertoire dieser Oper einfach nicht. Selbst in der Bearbeitung durch Franz Waxman, der daraus die „Carmen Fantasy“ geformt hatte, verließ mich nie das unterschwellige Gefühl, in einem Bierzelt zu sitzen.
Das änderte sich erst, als ich Musicalversion kennenlernte.

Im Jahre 1943 bearbeitete der Librettist Oscar Hammerstein II, der später in diesem Jahr Jahr zu seiner legendären Partnerschaft mit Richard Rodgers finden sollte, Bizets Oper für den Broadway und verpasste ihr eine schwarze Besetzung. In Otto Premingers Filmversion ist der junge Harry Belafonte in der männlichen Hauptrolle zu sehen, auch wenn wir seine Singstimme nicht hören dürfen.
Es schien mir, als hätte diese Partitur nur auf ihre yankeefizierung gewartet. Der Charme dieser Darsteller stellte an Liebreiz alles in den Schatten, was ich je in einem Disney-Trickfilm gesehen hatte, die gut erhaltenen Melodien groovten, jazzten, bebten vor Leidenschaft und Zärtlichkeit. Kurzum: endlich konnte ich die Musik so erleben, wie es jedem Opernfreund bereits in der Urfassung möglich gewesen war. „Stan‘ Up And Fight“, das Auftrittslied des berühmten Boxer (der in Europa ein Torero gewesen war), fegte alle vorherigen und nachfolgenden Aufnahmen beiseite. Die verblüffendste Darbietung ist eine bei aller musikalischen Komplexität hochschauspielerische Szene: „My Joe“ („Micaëla’s Prayer“), den Freunden der E-Musik als „Schmugglerquintett“ bekannt. So oft ich sie in der Filmversion sehe und höre, platze ich vor Vergnügen und frage mich: wie zum Teufel machen die das?

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