Fremdgehen mit Hitchcock

betr.: Jens Wawrceck liest „Klippen des Todes“, Vorlage für Alfred Hitchcocks „Young And Innocent“ als Hörbuch*

Ich erinnere mich noch an die ersten beiden Male, als ich „Jung und unschuldig“ im Fernsehen gesehen habe. Ich glaube, es war mein dritter Hitchcockfilm – nach „Der Fremde im Zug“ und „Die 39 Stufen“. Ich wusste also schon, dass Hitchcock ein Meister der Spannung war und war freudig auf das Schlimmste gefasst, als ich ihn im ZDF erblickte. Doch bald nach der gruseligen Eröffnungsszene an der Küste fürchtete ich, dass ich es hier mit einer Komödie zu tun haben könnte. Das hieß ja wohl: „keine Spannung“. Im Laufe des Films lernte ich etwas fürs Leben: Humor ist auch im Krimi ungemein wohltuend und der Spannung keinesfalls im Wege, ganz im Gegenteil. Die bedrohliche Kamerafahrt, die sich aus der Totalen der feiernden Menge ganz langsam dicht vors geschminkte Gesicht des Schlagzeugers vorarbeitet, das plötzliche Zucken seiner Augen – das war selbst auf unserer Glotze ganz großes Kino.

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Das Leben ging weiter, ich sah Hitchcockfilm um Hitchcockfilm – und eine ähnlich eindrucksvolle Punktlandung der Kamera in „Berüchtigt“. Ich las meine ersten Fachbücher und freute mich sehr über die Erfindung des Videorecorders.
Noch hatten wir selber keinen, aber ich war sogleich entschlossen, mir von nun an keinen Hitchcock mehr entgehen zu lassen. Wann immer einer ausgestrahlt wurde, lud ich mich bei Verwandten und Bekannten ein, die ein solches „TV-Heimgerät“ besaßen und bat um Aufzeichnung. Getreu dem Motto: Sammle in der Zeit, dann hast du, wenn’s soweit ist.  Irgendwann wurde auch „Jung und unschuldig“ wiederholt. Ich weiß noch, dass dies der erste Hitchcock war, der im Privatfernsehen lief, nachmittags auf ProSieben. Ich mußte also wieder woanders unterkommen, denn ich hatte zwar inzwischen einen VHS-Recorder, aber noch keinen Kabelanschluss.
Frau Scharping, die Mutter eines Freundes, war so nett.
Überraschenderweise setzte sich die friedliebende Dame zu mir, um sich den Film mit mir gemeinsam anzuschauen. Ich war hochkonzentriert, denn zum ersten Mal musste ich mit eigener Hand einen Werbeblock entfernen.
Schließlich kam die beschriebene Szene mit dem blinzelnden Schlagzeuger. „Passense auf, Frau Scharping!“ rief ich fröhlich aus. „Gleich erleben wir eine der berühmtesten Kamerafahrten der Filmgeschichte!“
Die Kamerafahrt kam, und wieder war ich hingerissen. Frau Scharping nicht.
“Und was ist da dran berühmt?“ wollte sie wissen. Ich versuchte gar nicht erst, es ihr zu erklären.
Bei Witzen klappt sowas ja auch nicht. Und wie gesagt: „Jung und unschuldig“ ist ein ziemlich amüsanter Film.

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* Erschienen bei Edition Audoba / Vitaphon

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