The Glorious Theater Lyrics Of Monty Arnold (22): „Tea Party“

betr.: 323. Geburtstag von Voltaire

In mehr als einem Jahrhundert Musical-Geschichte wurden die unterschiedlichsten Kunstgattungen als Vorlagen- und Ideengeber genutzt, bis hin zur Malerei. 1968 war „Die Irre von Chaillot“ aus dem Jahre 1945 an der Reihe, die sowohl zum absurden Theater als auch zu den Stücken mit Öko-Botschaft gerechnet wird. Das Finale des ersten Aktes ist ein Schein-Dialog dreier wunderlicher alter Damen, die u.a. davon überzeugt sind, mit Voltaire in Verbindung treten zu können.
Nachdem jede ihren kleinen neurotischen Song vorgetragen hat, singen sie – als Höhepunkt des einander-nicht-Zuhörens – gleichzeitig, und wundersamerweise fließt das alles harmonisch zusammen.

TEA PARTY
aus „Dear World“
Text und Musik: Jerry Herman
Deutsch von Monty Arnold

.     Gabrielle: Das ist der schönste Brigitte-Mira*-Ähnlichkeitswettbewerb, an dem ich je teilgenommen habe!
.     Constance: Seht Euch nur diese ganzen alten Krähen an. Schade, dass Hitchcock das nicht mehr miterlebt!
.     Countesse Aurella: Es ist irre, aber ich fühle richtig, wie diese Klamotten Besitz von mir ergreifen.
.     Constance: Das stimmt. Ich bin auch schon ganz blümerant – alles fühlt sich schräg und omihaft an.
.     Countesse Aurella: Ob wir wohl je wieder normal werden?!?
.     Gabrielle: Also, ich fühl mich wie immer.
.     Countesse Aurella: Für unsere Gabrielle ist das scheinbar die wahre Bestimmung, so rumzulaufen!
.     Constance: Mir wächst gerade eine Biografie – ein komplettes Leben mit Ex-Mann, dunkler Vergangenheit und allem Drum und Dran …

(MEMORIES)

Constance:
Ich seh Georges vor mir gerade als ob’s gestern wär’
Sein heißer Atem dröhnt wie’n Ventilator zu mir her.
Welch brünstige Grandezza, und so leidenschaftlich schwer –
Doch, Kinder, mir ist voll und ganz entfallen, wie mein Mann war…
Wie wild mein Busen bebt, wenn die Erinn’rung sich belebt:
Mein Georges kommt über mich wie heißes Garn, das mich durchwebt
All die pikanten Schweinerei’n, der kleinste Grunzer lebt!
Doch, Kinder, ich hab keinen blassen Schimmer, wie mein Mann war!

.     Countesse Aurella: Laß gut sein! Niemand hier interessiert sich für Deinen Mann!
.     Constance: Das hab ich auch nie getan …
.     Gabrielle: Mir kommt auf einmal zu Bewusstsein, was für ein rasantes Leben ich früher geführt habe. Als ich damals auf der Pariser Weltausstellung die große Freitreppe runterkam, und die versammelte Weltpresse sah nur noch mich – und hatte gar keine Lust mehr, die anderen zu fotografieren …
.     Countesse Aurella: Welche anderen?
.     Gabrielle: Greta Garbo, den Papst und das Ungeheuer von Loch Ness!
.     Constance: Und heute? Alles verpufft! Nur noch olle Geschichten, denen man gar nicht mehr anmerkt, ob sie jemals wahr gewesen sind.
.     Gabrielle: Genau wie die Klunkern um Deinen Hals!
.     Constance: Sag nichts gegen meinen Schmuck! Sieh Dir diesen Ring an! Er ist die Imitation einer echten Imitation!
.     Countesse Aurella: Keine Bange! Niemand kommt nahe genug heran, um den Unterschied zu bemerken!

(PEARLS)

Gabrielle: Dein Schmuck war immer falsch – ein Leben lang!
Constance: Hast recht: er war’s!
Gabrielle: All die Jahre hast Du Dich mit Talmi behängt. Wie schön, dass es Dinge gibt, die sich nicht ändern, wenn man älter wird.
Constance: (geheimnisvoll lächelnd) Schau nur lang genug den Glasschmuck an, und heimlich und leise wird echter daraus!
Gabrielle: Genauso ist es mit Erinnerung!
Countesse Aurella: Ich habe das Gefühl, dass Deine Perlen mich anstarren, diese falschen Biester! Schaff sie weg, sie machen mich nervös!
Gabrielle: Aber meinen Dickie lässt Du in Frieden!
Countesse Aurella: Den?
Constance: Den nehmen wir doch überhaupt nicht ernst!
Gabrielle: Und gleich werdet ihr wieder behaupten, dass er gar nicht existiert, ihr bösen alten Frauen!

(DICKIE)

Gabrielle:
Dickie! Kleiner blauer Dickie!
Ist er nicht zum Anbeißen wie er da sitzt, mein geliebter Tapir!
Dickie! (Küsschen, Küsschen, Küsschen, Küsschen) Dickie!
Immer liegt er flach auf dem Bauch mir im Schoß und sagt „Mama“ zu mir! – Mein Stinker!
Bellt nicht, fusselt nicht und fällt nicht
Über meinen harmlosen, nützlichen, niedlichen Briefträger her!
.                     (Countesse Aurella: Aber er ist schon ziemlich verwöhnt!)
Ich werde nicht mit anseh’n, dass ihn einer piesackt,
mach Platz, Dickie, sitz, Dickie, aus! Dickie!
und außerdem – Ätsch! – heute hab ich ihn gar nicht bei mir!

.       Countesse Aurella: Papperlapapp! Wir verschwenden unsere Zeit! Wenn er existiert, dürfen wir ihn auch piesacken! Wir sollten einen seriösen Gutachter hinzuziehen.
.       Constance: Dann lauf ich in der Pause rasch nach Hause und konsultiere meine Stimmen! Die meisten davon sitzen um diese Zeit in meinem Wasserkessel – außer an den ungeraden Freitagen. Da höre ich sie überall!!!

(VOICES)

Constance:
Schnatter, schnatter, schnatter,
da sind Stimmen im Gewächshaus, in der Spüle und sogar in meinem Herd!
Wenn ich morgens vor dem Spiegel stehe, klingt’s aus meinem Alibert! – Da sind sie!!!
Grummel, grummel, grummel,
da sind Stimmen tief im Schuhschrank, die mir sagen wie der Haushalt funktioniert!
Und eine ganz besonders laute, die mich auch noch ständig provoziert!
Schnatter, schnatter, schnatter,
da sind Stimmen aus dem Mixer, die mich warnen, wenn die Base kommt herbei!
Und Stimmen im Klavier, die bringen mir sogar die Flötentöne bei!
Wenn man sich mal dran gewöhnt hat, dass sie ständig widersprechen
– nicht nur mir –
muß man einseh’n, das ist für ein altes Mädchen
doch ein praktisches Pläsier!

.     Constance: Warum sollten wir irgendwelche Stimmen rufen, wenn wir so eine prominente Auswahl haben? Voltaire zum Beispiel…
.     Gabrielle: Ist der etwa auch hier?
.     Constance: Na sicher! Und all die anderen großen Köpfe der Vergangenheit, die uns unbürokratisch ihre Hilfe anbieten – Sokrates, Hegel, Kant…

(THOUGHTS)

Constance:
Alles, was geschah, ist!
Alles was besteht, bleibt!
Ein jeder Geist, der sich einmal bewährt, wird besteh’n!
Alles, was geschah, ist!
Alles was gelebt, lebt fort!
Und irgendwann bin auch ich solch ein Funken im All!
Und ich sag euch:
Wir sind nicht allein hier!
Alle sind bei uns hier!
Keats und Molière steh’n bereit, um uns treulich zu führ’n.
Hört wie ihre Ketten rasseln!
Alles, was Ernst Lubitsch jemals las,
und was der Dalai Lama je vergaß,
ist genau um uns her und durchdringt uns wie Telepathie!

Wo ist Voltaire?

.     Countesse Aurella: Er führt Dickie aus, kein Zweifel!
.     Gabrielle: Ich brauche eine Fliegenklatsche! Diese Stimmen machen mich wahnsinnig!
.     Constance: Sprecht, Stimmen!
.     Gabrielle: Sprich, Dickie!
.     Countesse Aurella: Sing, Lubitsch!

(gleichzeitiger Gesang DICKIE, VOICES, THOUGHTS)

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