Die schönsten Filme, die ich kenne (57): „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“

1955 hat Heinrich Böll die Rundfunksatire „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ in den „Frankfurter Heften“ veröffentlicht. Es ist sein populärstes satirisches Werk und von einer so leichtfüßig-loriothaften Komik, dass ich mir am Ende jedesmal klarmachen muss, dass der Autor im Hauptberuf eben kein Humorist war. Der Text „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ ist ein Unikat (Bölls übrige Satiren fühlen sich ganz anders an), der Film ist es auch (wie ein Blick in eine beliebige deutsche Filmkomödie der Nachkriegszeit beweist).*

Der junge Redakteur Dr. Murke muss einen Funkbeitrag des großen Intellektuellen Bur-Malottke in Ordnung bringen. Der Meister fürchtet, man könne ihn der Mitschuld an der religiösen Überladung des Rundfunks anklagen und möchte das Wort „Gott“ nachträglich aus einem bereits produzierten Beitrag entfernt wissen. Da er sich nicht die Mühe machen will, den Text neu einzusprechen, muss nun 27mal die neue Formulierung „jenes höhere Wesen, das wir verehren“ aufgenommen und in das Tonband eingeklebt werden, und zwar in der jeweiligen Deklinierung.
Der Titel verweist auf Dr. Murkes Hobby: nebenbei sammelt er die herausgeschnippelten Stellen, an denen von den jeweiligen Geistesgrößen am Mikrofon geschwiegen wird.  Er  klebt sie zu Tonbändern zusammen, die er sich feierabends zur Erholung anhört.

In „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ behandelte Heinrich Böll zehn Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus (der den Rundfunk ja bestens für seine Zwecke zu nutzen verstanden hatte) das Phänomen, dass so mancher Beitrag aus dieser Zeit für die Demokratie umgearbeitet werden musste. Als 1964 der Schwarzweißfilm mit Dieter Hildebrandt in der Rolle des Dr. Murke entstand, spielte dieser Aspekt vermutlich keine Rolle mehr, doch der blasierte Literat, bester Freund des Intendanten, ist eine Type, der wir unzweifelhaft alle schon begegnet sind (– in Gestalt eines Hausmeisters / Turnlehrers / Sachbearbeiters / Mitbewohners …). Das Finale – Murke und seine Mitarbeiter sollen sämtliche bisher gesendeten Bur-Malottke-Vorträge auf überholte Formulierungen untersuchen – lässt mich wiederum an unsere Tage denken, da fast monatlich ein gebräuchlicher Ausdruck aufgrund möglicher Empfindlichkeiten geächtet und durch einen knotigen Reparaturbegriff ersetzt wird.

Doch hält dieser Film für mich auch eine ganz persönliche Nostalgie bereit. Ich bin zwar nie in einem der ratternden Paternoster gefahren, die in Bölls Funkhaus-Alltag das wichtigste Fortbewegungsmittel darstellen, aber meine frühen Jahre in der einen oder anderen ARD-Anstalt – die aufgeräumte Heiterkeit der Tonmeister, ihre rumpeligen aber fehlerlosen Bandmaschinen, die ballsaalgroßen Ateliers, die braungetäfelten Kultur-Flure – zeigten mir einen Flohmarkt der Eitelkeiten, der im Rückblick nicht der schlechteste war. Man war hier leiser und entspannter als etwa beim Fernsehen, in der Comedy oder beim Musical. Und die Produkte, die dieses Gebilde hervorbrachte, schienen mir nicht selten die Mühe wert zu sein.

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* Es soll hier auch die gleichnamige Hörspielbearbeitung von 1983 nicht unerwähnt bleiben.

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