Ein Strudel im Cyberspace

Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, einen Eindruck vom Leben jener zu erhaschen, die nicht wie ich jeden Film sammeln und ins Regal stellen möchten, sondern sich alles, was sie interessiert, flott und unerlaubterweise auf den PC strömen lassen, um es gleich anschließend wieder zu vergessen.
Ich besuchte einen Freund, der mich großzügig aufforderte, uns etwas für einen gemütlichen Filmabend auszusuchen. Ich überredete ihn zu „Caché“ von Michael Haneke (den ich als Kauf-DVD besitze, aber nicht dabeihatte). „Kommt sofort!“ prahlte mein Freund, und dann hatten wir viel Freude mit „Caché“ auf seinem Laptop – bis zur 48. Minute. Dann ging das Licht aus. Mein Vorführer suchte und fand „Caché“ noch auf vier anderen halbseidenen Portalen, und überall dauerte er 48 Minuten, einmal waren es immerhin 51.
So einigten wir uns schließlich auf einen Ersatzfilm mit dem gleichen Thema (Entfremdung des Pubertierenden von Vater und Mutter): das aktuelle Remake von Stephen Kings „It“, das wir beide noch nicht kannten.
Die Schauspieler waren klasse, vor allem die Kinder.

„It“ unter diesen Umständen zu sehen – in voller (Über-)Länge und viel besserer Auflösung als „Caché“ -, war für mich aus mehreren Gründen erhellend. Zunächst einmal war dies nicht nur der neuere der beiden Filme, er war auch sonst der kommerziell begehrlichere. Dennoch sahen wir ihn (o wundersame Piratenwelt) komplett und ohne Hindernis. „It“ ist außerdem der amerikanischere und der Film mit dem größeren Budget. Seine Pointe ist umso preiswerter: Die Kinder, die von dem Horrorclown Pennywise entführt wurden, schweben in einer Art Trance in einer Grotte herum, bis sie von anderen Kindern befreit werden. Dann kehren sie in den Alltag der amerikanischen Provinz zurück: zu ihren White-Trash-Eltern, die sie mit dumpf-konservativen Vorschriften drangsalieren, im Suff verprügeln oder gleich sexuell missbrauchen. Wer seinem eigenen Elternhaus halbwegs heil entkommt, wird von den verwahrlosten Jungs anderer Leute schikaniert und halb totgeschlagen.

Meine Pointe dieses Abends lautet: Wer Filme lieber gratis im Netz anschaut, als sie sich legal zu organisieren, der wird vom bereitgestellten Angebot dazu getrieben, sich vom Autorenfilm dem Mainstream zuzuwenden – falls er das nicht schon zuvor getan hat.

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